Kurz
nachdem die Welt erschaffen war, lebten die Indianer in einfachen
Hütten, zogen im Lande umher und suchten mühsam ihre Nahrung, wo
sie diese finden konnten. Eines Tages tauchte in einem Lager am Ufer
eines Flusses eine alte Frau auf, sie sehr abgerissen und halb
verhungert aussah. Die Männer waren alle auf der Jagd, und die
meisten Frauen und Mädchen sammelten am Flussufer Wurzeln und
Wildgemüse. Nur ein paar Kinder und junge Mädchen waren im Lager
geblieben, um das Feuer zu unterhalten. Als sie das alte Weib sahen,
sagten sie zu ihr: „Hier ist kein Platz für dich. Warum gehst du
nicht ins nächste Lager? Wir haben nichts zu verschenken.“ Ohne
ein Wort zog die Alte weiter und war bald im Wald verschwunden. Aber
im nächsten Lager erging es ihr nicht anders, auch hier wollte man
nichts von ihr wissen und schickte sie fort. Auch im dritten Lager
sah man sie mit Verachtung an. Schließlich kam sie an ein Lager, das
nur aus ein paar Reisighütten bestand, die den Mitgliedern des
Alligator - Clans gehörten. Der Alligator – Clan spielte keine
eben bedeutende Rolle im Stamm, und daher zierten weder
Kriegstrophäen noch kostbare Felle die Hütten seiner Mitglieder.
Als die Alte bescheiden und schüchtern um Nahrung und einen Platz am
Feuer bat, sagten die Frauen: „Komm her, Alte, hier bei uns ist
Platz genug, und etwas zu essen wird sich schon auch noch finden
lassen. Du musst einen langen Weg hinter dir haben und recht hungrig
sein.“ Nachdem die alte Frau gegessen hatte, ließ man sie am Feuer
schlafen, denn dort war der beste Platz. Am nächsten Morgen zogen
die Männer des Alligator – Clans hinaus in den Wald, um Hirsche zu
jagen, während die Frauen Wurzeln und Beeren suchen gingen. Der
alten Frau vertrauten sie das Lager an, damit sie das Feuer nicht
ausgehen lasse und auf die Kinder ein Auge habe. Niemand kannte die
Alte, doch vertraute ihr jeder, denn bei den Creek-Indianern war noch
nie etwas weggekommen. Niemand fürchtete daher, dass die Alte etwas
stehlen könnte. Die alte Frau aber war die Maismutter selbst, die in
dieser unscheinbaren Gestalt auf die Erde gekommen war. Als die
Männer und Frauen gegen Abend zurückkehrten, erklärten die Kinder,
dass sie bereits gegessen hätten. Voller Erstaunen hörten die
Erwachsenen: „Die alte Frau hat für uns alle zu essen gehabt! Und
ihr Essen schmeckt besser als die Wurzeln und Beeren, die wir sonst
bekommen!“ Da sagte der Clan - Älteste zu den Kindern: „Sagt der
Alten, dass sie mir etwas von ihrem Essen aufheben soll, denn ich bin
gespannt, was das wohl sein könnte.“ Aber auch er musste am
nächsten Abend zugeben, dass der Brei besser schmeckte als alles,
was er bisher gekostet hatte. Vergeblich bemühte er sich, hinter das
Geheimnis der alten zu kommen, aber alle Anstrengung war vergeblich.
Er fand nie heraus, woher die fremde Frau die Zutaten zu dem Essen
nahm. Eines Tages war die Alte verschwunden, ebenso plötzlich, wie
sie erschienen war, hatte sie das Lager verlassen. Niemand hatte sie
fortgehen sehen, und niemand konnte sagen, wohin sie wohl geraten
war. Einer der Jungen jedoch konnte den Geschmack des seltsamen
Mahles, dass die Alte gekocht hatte, nicht vergessen. Kaum hatte er
der die Kriegerweihen hinter sich, da beschloss er, auf die Suche
nach der alten Frau zu gehen, die ja gewiss nicht weit sein konnte.
Lange wanderte im Lande umher, durchwatete Flüsse, stieg über
Bergketten und durchzog Wälder und Sümpfe. Aber in keinem Lager, an
das er kam, wusste man etwas von der alten Frau. Als er eines Abends
entmutigt und niedergeschlagen ganz allein am Feuer saß, übermannte
ihn der Schlaf. Als er aufwachte, stand vor ihm eine alte Frau mit
weißem Haar, das ihr über den Rücken herabhing. Der junge Krieger
war sehr erschrocken, denn er fürchtete, einem Zauberwesen
ausgeliefert zu sein. Erst als die Alte näher ans Feuer trat,
erkannte er die Langgesuchte. Freudig begrüßte er sie und flehte
sie an, doch mit ihm wieder ins Lager des Alligator – Clans
zurückzukehren. Die Alte aber wehrte ab und sprach: „Ich kann
nicht bei dir bleiben, doch wenn du meinen Rat befolgst und tust, was
ich dir auftrage, wirst du mich nie vermissen.“ Darauf führte sie
den jungen Krieger an eine Stelle am Fluss. Hier stand das gelbe
vorjährige Gras hüfthoch. „Lege Feuer an und brenne das Gras ab,“
befahl sie „frage nicht nach dem Grund, du wirst schon sehen.“ So
tat der junge Krieger ihr den Gefallen und legte einen Feuerbrand an
jene Stelle. Bald stoben die Funken himmelhoch, und knatternd fraß
sich das Feuer durch die Lichtung; bald war von dem Gras nur noch
Asche übrig. Das sprach die Alte wiederum: „Nimm mich bei den
Haaren und schleife mich kreuz und quer über die verbrannte Erde.
Überall dort, wo du mich hinschleifst, wird neues Gras aus dem Boden
schießen, zwischen den Blättern aber wirst du mein Haar
hervorschauen sehen. Wenn das der Fall ist, dann ist der Samen reif.
Das ist das Geheimnis der Speise, derentwegen du so weit gewandert
bist.“ Der Krieger machte sich sogleich an die Arbeit und schleppte
die Alte an den Haaren über die Lichtung. Kreuz und quer ging der
Weg, bis auch nicht ein Stückchen des Bodens unberührt geblieben
war. Kaum hatte er seine Arbeit beendet, da war die Frau aus seinen
Händen verschwunden. Langsam ging er zum Feuer zurück und
überdachte das Erlebnis. Als der junge Krieger am nächsten Morgen
wieder auf die Lichtung trat, stand dort ein seltsames Gras, das ihm
bis über den Kopf reichte. Überall zwischen den Blättern aber sah
er ein Stückchen von dem Haar der alten Frau. Bis zum heutigen Tage
tragen die Maiskolben am oberen Ende einen Haarschopf, und die
Indianer wissen, dass die Maismutter sie nicht vergessen hat.
©zissa
nach
einem indianischen Märchen
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