Die
Göttin saß tief unten im Herzen der Erde am Feuer und wärmte ihre
kraftvollen alten Hände an den lodernden Flammen von Lava und Glut.
Lächelnd murmelte sie leise Worte der Magie und des Zaubers vor sich
hin. Nur wenige versteckte Pfade reichen bis in
ihr Zuhause, in die Tiefen der Berge, zum Mittelpunkt der
Erde. Es ist nicht leicht zu ihr zu gelangen und wenig Besuch bekam
sie um diese Zeit. Nur die Wurzeln der ältesten und weisesten Bäume
waren durch die harte Kruste der Erde bis zu ihren Höhlen
hinabgewachsen. Die
stärksten Wurzeln schlangen sich liebevoll um das Feuer der Göttin
und hielten es sacht und fest. Das Feuer pochte und glimmte wie ein
schlagendes Herz. Die Bäume schliefen und träumten. Manchmal wenn
man ganz still war, konnte man sie leise im Schlaf wispern hören:
"Frau Holle, schick uns Schnee. Welke Blätter bedecken unsere
Wurzeln, aber es ist so bitterkalt. Uns friert. Die Vöglein kuscheln
sich zitternd an unsere Astkronen. Die Mäuschen bauen ihre Nester im
Schutz unserer Wurzeln. Schick uns deinen Schnee, Frau Holle. Er ist
so weich und bedeckt die Erde wie eine warme Decke." Die Göttin
lächelte und Güte strahlte aus ihrem Gesicht. "Schhh"
machte sie sacht und hielt sich einen Finger an den Mund. "Seid
nicht so ungeduldig ihr Lieben. Zuerst kommt die Zeit der Stürme.
Wenn der Winter einzieht und alle Blätter von den Bäumen fallen,
wenn alles Grün verschwindet und es kalt und dunkel wird auf unsrer
Erde, dann ziehen alle Menschen und Tiere sich in ihre warmen Häuser
und Höhlen zurück. Die Samen und Naturgeister aber kommen zu mir,
um bis zum nächsten Frühling zu schlafen und zu rasten." Und
wirklich. Wohl behütet, sicher und geborgen schliefen alle Geschöpfe
im warmen Schoss der Göttin, während die Winterstürme über die
Erde fegten. Frau Holle sang mit ihrer tiefen vollen Stimme Baumfeen,
Wurzelkinder, Blumenelfen und Igelbabys in den Schlaf und erzählte
ihnen davon, was oben auf der Erde vor sich ging: "Hört ihr wie
es grummelt und grollt? Wie der Wind jammert und tobt? Mein lieber
Gefährte der Wode und seine wilden Jäger mit ihren stürmischen
Himmelsponys, jagen über den Himmel. Sie jauchzen und heulen und
treiben den Wind an. Es mach ihnen Spaß alles durcheinander zu
wirbeln. Sie treiben die Wolken übers Land und locken die
Nebelschwaden aus der Erde. Sie tanzen und hüllen alles mit meinen
weißen Schleiern ein. So ist es schon immer gewesen, meine Lieben.
Die Natur erholt sich, während ihr sicher und behütet schlummert
und vom nächsten Sommer und seinen Freuden träumt. Sie aber, die
wilden Jäger, reinigen die Luft, fegen die Erde sauber, entfachen
die Feuer des Julfestes und lassen das Wasser der heiligen Quellen
gefrieren. Bald wird es schneien. Und die Welt wird weiß und neu
sein. Frisch und sauber für den nächsten Frühling, wenn wir alle
aus unserem langen Schlaf erwachen. Wenn die Sonne wiederkehrt und
uns mit ihrem Licht und ihrer Wärme zu neuem Leben erweckt. Alles zu
seiner Zeit. Nun aber schlaft. Schlaft meine Lieben. Schlaft gut.
Meine Kinder, meine lieben Geschöpfe, meine lieben Bäume. Gute
Nacht."
©zissa
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