Mittwoch, 3. August 2011

Spindel, Weberschiffchen & Nadel {Beltaine Märchen}

 
Es war einmal ein Mädchen, dem starb Vater und Mutter, als es noch ein ganz kleines Kind war. Am Ende des Dorfes wohnte in einem Häuschen ganz allein seine Pate, die sich von Spinnen, Weben und Nähen ernährte. Die Alte nahm das verlassene Kind zu sich, hielt es zur Arbeit an und erzog es. Als das Mädchen fünfzehn Jahre alt war, erkrankte sie, rief das Kind an ihr Bett und sagte: „Liebe Tochter, ich fühle, dass mein Ende herannaht, ich hinterlasse dir das Häuschen, darin bist du vor Wind und Wetter geschützt, dazu Spindel und Weberschiffchen und Nadel, damit kannst du dir dein Brot verdienen.“ Sie legte die Hände noch segnend auf ihren Kopf und sprach: „Behalte die Göttin im Herzen, so wird es dir immer gut gehen!“ Darauf schloss sie die Augen, und als sie zur Erde bestattet wurde, ging das Mädchen bitterlich weinend hinter dem Sarg um ihrer lieben Patin die letzte Ehre zu erweisen. Das Mädchen lebte nun ganz allein in dem kleine Haus, war fleißig, spann, webte und nähte und auf allem was es tat ruhte der Segen der Göttin. Es war, als ob sich der Flachs in der Kammer von selbst vermehrte, und wenn sie ein Stück Tuch oder einen Teppich gewebt oder ein Hemd genäht hatte, so fand sie gleich einen Käufer, der es reichlich bezahlte, so dass sie keine Not empfand und sogar mit anderen teilen konnte. Um diese Zeit zog der Sohn des Königs im Land umher und wollte sich eine Braut suchen. Eine Arme sollte er nicht wählen, eine Reiche wollte er nicht haben. Da sprach er: „Die Frau soll meine Braut werden, die zugleich die Ärmste und die Reichste ist.“
Als er in das Dorf kam, wo das Mädchen lebte, frage er, wie er es überall tat, wer in dem Ort die Reichste und wer die Ärmste wäre. Sie nannten ihm die Reichste zuerst. Die Ärmste, sagten sie, wäre das Mädchen, welches in dem kleinen Haus am Ende der Straße wohnte. Die Reiche saß vor ihrer Haustüre in vollem Putz, und als der Königssohn sich näherte, stand sie auf, ging ihm entgegen und verneigte sich vor ihm. Er sah sie an, sprach kein Wort und ritt weiter. Als er zu dem Haus der Armen kam, stand das Mädchen nicht vor der Türe, sondern saß drinnen in der Stube. Er hielt das Pferd an und sah sie durch das Fenster, durch welches die helle Sonne schien, an dem Spinnrad sitzen und emsig spinnen. Es blickt auf, und als es bemerkte, dass der Königssohn hereinschaute, schlug es die Augen nieder und spann unberührt weiter. Ob der Faden diesmal ganz gleich ward, weiß ich nicht, aber es spann so lange, bis der Königssohn wieder weggeritten war. Dann trat es ans Fenster, öffnete es und sagte: „Es ist so heiß in der Stube“ aber es blickte ihm nach, solange es noch die weißen Federn an seinem Hut erkennen konnte. Dann setzte sie sich wieder an ihre Arbeit und spann weiter. Da kam ihm ein Spruch in den Sinn, welchen es vor sich hin sang:
Spindel, Spindel, geh du aus,
bring den Freier in mein Haus.
Da sprang ihm die Spindel aus der Hand und zur Tür hinaus, und als das Mädchen vor Verwunderung aufstand und der Spindel nacheilen wollte, sah es dass diese lustig in das Feld hineintanzte und einen glänzenden goldenen Faden hinter sich herzog. Nicht lange, so war sie ihm aus den Augen entschwunden. Das Mädchen, da es keine Spindel mehr hatte, nahm das Weberschiffchen in die Hand, setzte sich an den Webstuhl und fing an zu weben. Die Spindel aber tanzte immer weiter, und eben, als der Faden zu Ende war, hatte sie den Königssohn erreicht. „Was ist das?“, rief er, „Die Spindel will mir wohl den Weg zeigen?“, drehte sein Pferd um und ritt von dem goldenen Faden geführt zurück. Das Mädchen aber saß an seiner Arbeit und sang:
Schiffchen, Schiffchen, webe fein,
führ den Freier mir herein.
Schon sprang ihr das Schiffchen aus der Hand und zur Türe hinaus. Vor der Türschwelle aber fing es an einen Teppich zu weben, schöner als man je einen gesehen hat. Auf beiden Seiten blühten Rosen und Lilien, und in der Mitte auf goldenem Grund stiegen grüne Ranken herauf, darin sprangen Hasen und Kaninchen, Hirsche und Rehe und streckten die Köpfe dazwischen, oben in den Zweigen saßen bunte Vögel, es fehlte nichts, als dass sie gesungen hätten. Das Schiffchen sprang hin und her und es war als wüchse alles von selber aus dem Erdboden.Weil das Schiffchen fortgelaufen war, hatte sich das Mädchen zum Nähen hingesetzt. Es hielt die Nadel in der Hand und sang:
Nadel, Nadel spitz und fein
Mach das Haus dem Freier rein.
Da sprang ihr die Nadel aus den Fingern und flog in der Stube hin und her, so schnell wie ein kleiner Blitz. Es war nicht anders, als wenn unsichtbare Wichtel oder Elfen arbeiteten, alsbald überzogen sich Tisch und Bänke mit grünem Tuch, die Stühle mit rotem Samt und an den Fenstern hingen seidenweiße Vorhänge herab. Kaum hatte die Nadel den letzten Stich getan, so sah das Mädchen schon durch das Fenster die weißen Federn vom Hut des Königssohns, welchen die Spindel an dem goldenen Faden herbeigeholt hatte. Er stieg ab, schritt über den Teppich auf das Haus zu und als er über die Schwelle trat, stand da das Mädchen in seinen ärmlichen Kleidern, aber es glühte darin wie ein Rose im Busch.
Du bist es!“ rief der Königssohn, „Du bist die Ärmste und gleichzeitig die Reichste! Komm mit mir. Du sollst meine Gefährtin sein.“ Schweigend reichte sie ihm die Hand. Da gab er ihr einen Kuss und führte sie hinaus, hob sie auf sein Pferd und brachte sie in das königliche Schloss, wo die Hochzeit mit großer Freude gefeiert ward. Spindel, Weberschiffchen und Nadel wurden von dem Königssohn in der Schatzkammer verwahrt und in großen Ehren gehalten.

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