Sonntag, 20. Dezember 2015

Der Graf & die Schwanenjungfrau {Rauhnacht Märchen}


Vor langer, langer Zeit lebte in Lothringen einmal ein Graf, der große Freude an der Jagd hatte. Nun geschah es, dass er an einem stillen Abend Wasserenten nachstellte. Da sah er plötzlich drei Schwäne heranfliegen. Die warfen ihre Schwanenkleider ab, und es waren drei wunderschöne Jungfrauen. Der Graf nahm heimlich das Schwanenkleid der Jüngsten, und sie mußte ihm nachfolgen. Da der Graf jung und schön war, begann sie ihn zu lieben und nahm ihn zum Manne. Zu ihrem Mann aber sagte sie: "Wenn ich je wieder mein Schwanenkleid vor mir sehe, dann muss ich von dir weg in die weite Welt fliegen." Daraufhin gab der Graf das Schwanenkleid seiner alten Mutter zur Aufbewahrung. Nun waren sie schon sieben Jahre verheiratet und hatten drei Kinder. Da geschah es einmal, daß die alte Mutter des Grafen in ihrer Kammer kramte. Dabei fiel ihr das Schwanenkleid in die Hände, und eben in diesem Augenblick betrat die Gräfin den Raum. Als sie das Schwanenkleid sah, schrie sie laut auf, zog es sich über, flog als Schwan zum Fenster hinaus und rief: "Grüße meinen Mann und meine Kinder. Sage ihm, wenn er mich finden will, dann muß er mich suchen im gläsernen Berg, der auf dem blanken Felde steht, denn ich bin eine verwunschene Prinzessin."
Sie flog über den Wald hinweg, und da sah sie ihren Mann den Rehen und Hasen nachjagen, und das Herz wollte ihr zerspringen. Als der Graf nach Hause kam, erzählte ihm seine Mutter was geschehen war. Der Graf weinte sehr, denn er hatte seine Frau sehr lieb. Er übertrug die Aufsicht über Schloss und Kinder seiner Mutter und machte sich auf, in die weite Welt zu wandern und den gläsernen Berg auf dem blanken Felde zu suchen. Aber wohin er auch kam, niemand hatte davon gehört. Eines Tages kam der Graf an eine Hütte, die am Rande eines tiefen Waldes stand. Er fand darin einen Mann, der so alt war, wie er noch nie einen gesehen hatte.
Dieser sprach den Grafen an: "Wo kommst du denn her? Seit hundert Jahren habe ich keinen einzigen Menschen mehr gesehen."
Da erzählte der Graf, daß er den gläsernen Berg auf dem blanken Felde suche.
Und der Alte sprach: "So lange lebe ich nun schon in der Welt, doch davon habe ich nie gehört. Bleibe bei mir über Nacht, wandere am nächsten Morgen weiter und du wirst zu meinem Bruder kommen, der lebt schon viel länger auf dieser Weit als ich, vielleicht kann er dir helfen."
Am Morgen gab der alte Einsiedler dem Grafen einen Ring mit einem roten Stein als Zeichen für seinen Bruder. Als es Abend wurde, kam der Graf wiederum zu einer Hütte. Darin saß ein noch älterer Mann, und der sprach den Grafen an: Wo kommst du denn her? Seit zweihundert Jahren habe ich keinen Menschen mehr gesehen."
Da erzählte der Graf, daß er von dessen Bruder käme. Er zeigte auch den Ring und fragte dann, ob der Alte denn wisse, wo der gläserne Berg auf dem blanken Felde stehe. Aber auch der sprach: "So lange lebe ich nun schon auf dieser Welt, doch davon habe ich nie gehört. Bleibe bei mir über Nacht, wandere am nächsten Morgen weiter und dann wirst du, wenn es Abend wird, ganz oben bei Eis und Schnee zu unserem ältesten Bruder kommen. Vielleicht kann er dir helfen."
Am nächsten Morgen gab der alte Einsiedler dem Grafen einen Ring mit einem blauen Stein als Zeichen für seinen älteren Bruder. Als es Mittag war, wanderte der Graf an einem Felsen vorüber. Unter dem Felsen lag ein toter Stier und davor saßen ein Löwe, ein Windhund, ein Adler und eine Ameise. Die stritten sich um den Stier, und als sie den Grafen sahen, baten sie, dass er zwischen ihnen entscheiden solle. Der überlegte nicht lange und sprach: Dir Löwe gebe ich das Fleisch, dem Windhund die Knochen, dir Adler das Gekröse und der Ameise den Kopf, den sie danach gleich als Wohnung behalten kann."
Die Tiere waren es zufrieden, und der Graf wanderte weiter.  Plötzlich kam ihm der Windhund nachgejagt, und der Graf dachte, die Tiere hätten wieder zu streiten begonnen. Der Windhund aber rief: "Wir haben vergessen, dir zu danken, kehre mit mir um, damit wir dies nachholen können."
Als nun der Graf wiederum bei den Tieren war, da gab ihm der Löwe ein Haar und sprach: Wenn du es zwischen den Fingern reibst, dann wirst du ein Löwe werden wie ich und sieben Mal stärker sein denn ich."
Der Windhund gab ihm ein Haar und sprach: "Wenn du es zwischen den Fingern reibst, dann wirst du ein Windhund werden wie ich und sieben Mal schneller sein denn ich."
Der Adler, der gab ihm eine Feder und sprach: "Wenn du sie dir ins Haar steckst, dann wirst du ein Adler werden wie ich und sieben Mal höher fliegen können denn ich."
Zuletzt gab ihm die Ameise einen Fuß und sprach: "Wenn du ihn dir zwischen die Lippen legst, dann wirst du eine Ameise werden wie ich und sieben Mal kleiner sein denn ich." Der Graf dankte den Tieren und steckte ihre Geschenke in eine goldene Kapsel, die er auf der Brust trug. Am Abend kam er ganz oben bei Eis und Schnee zu einer Hütte und darin fand er einen ur-, uralten Mann, noch viel älter als die beiden anderen. Der sprach den Grafen an: Wo kommst du denn her? Seit dreihundert Jahren habe ich keinen einzigen Menschen mehr gesehen."
Der Graf erzählte, daß er von dessen Brüdern käme. Er zeigte die Ringe zum Zeichen und fragte den Alten, ob er denn wüßte, wo der gläserne Berg auf dem blanken Felde stehe? Da sprach der Alte: "Wenn du bei mir bleibst und am nächsten Morgen immer mit der Sonne wanderst, dann wirst du, wenn es Abend wird, beim gläsernen Berg auf dem blanken Felde angekommen sein. Darin wohnt ein verwunschener König mit seinen drei Töchtern. Einmal im Jahr, zur Zeit der Sonnenwende, dürfen die Töchter als Schwäne in die weite Welt fliegen. Der Berg ist hoch und ganz aus Glas, so daß nur der allerstärkste Adler bis ganz zur Spitze fliegen kann, und in das Bergesinnere führt eine winzig kleine Spalte, so daß nur die allerkleinste Ameise hindurch kommt."
Da freute sich der Graf in seinem Herzen. Von den Tiergeschenken jedoch erzählte er nichts.
Am nächsten Morgen wanderte der Graf immer mit dem Lauf der Sonne und als es Abend wurde, da funkelte es vor ihm, als ob tausend Sonnen scheinen würden. Da wußte der Graf, daß er jetzt beim gläsernen Berg auf dem blanken Felde angekommen war. Er nahm die Feder des Adlers, steckte sie ins Haar und war ein starker Adler, der bis zur Bergesspitze flog. Dort nahm er den Fuß der Ameise, verwandelte sich und kroch in das Bergesinnere. Er kam zu einem Schloss, kroch in den ersten Saal und sah den alten König auf seinem Thron sitzen. Er kroch in den zweiten Saal, da sah er zwei Prinzessinnen. Er kroch in den dritten Saal, und dort, dort sah er seine Frau, und die weinte. Da verwandelte sich der Graf, stellte sich hinter seine Frau, und jetzt sah sie im Glas sein Bild. Sie wandte sich um und umarmte ihn voller Freude, daß er zu ihr gefunden hatte. Da erzählte der Graf, daß er gekommen sei, um sie zu erlösen, und er sprach: "Ich werde mich jetzt wieder in eine Ameise verwandeln und mich auf dein Handgelenk setzen. Beim Abendessen mußt du deinen Vater fragen, wie ihr zu erlösen seid."
Beim Abendbrot fragte die Schwanenfrau den alten König: "Vater, was muss denn geschehen, damit wir endlich erlöst werden?"
"Ach", sprach der König traurig, dies wird wohl nimmermehr geschehen. Unser Erlöser müsste zuerst mit dem siebenköpfigen Drachen kämpfen, der den gläsernen Berg bewacht und dem der Hofherr jeden morgen zwölf Schweine bringen muss. Er müßte aber auf einmal alle sieben Köpfe abschlagen, denn lässt er nur einen stehen, wachsen all die anderen Köpfe wieder nach. Gelingt es ihm aber, alle sieben Köpfe auf einmal abzuschlagen, dann kommt aus dem siebenten Stumpf ein weißer, dreibeiniger Hase gesprungen, der ist schneller denn der Wind, und dieser Hase wird zu einer Taube, und diese Taube trägt einen Karfunkelstein. Diesen Karfunkelstein müsste unser Erlöser in die Bergspalte werfen.  Es müsste aber noch heller Morgen sein, Schnee müsste vom Himmel fallen und alle Glocken im Tal, die müssten zu läuten beginnen. Dies wird wohl nimmermehr geschehen, denn wer sollte denn je davon erfahren? Und es müsste auch gerade der Morgen des Heiligen Abends sein, denn nur dann kann der gläserne Berg überwunden werden."
Als nun die Schwanenfrau in ihren Saal zurückgekehrt war, da nahm ihr Mann von ihr Abschied und sprach: "Ich werde jetzt wieder als Ameise aus dem Berg kriechen und dann werde ich mich bei dem Hofherren als Schweinehirt verdingen."
Der Hofherr, dem der junge und schöne Graf leid tat, sprach: "Ach, es ist sehr gefährlich, die Schweine in die Nähe des Drachen zu treiben. Wenn der nämlich zornig ist, dann verschlingt er zuerst den Hirten."
Aber der Graf sprach: "Gib mir ruhig die Schweine und vielleicht bringe ich sie dir heute Abend alle wieder zurück."
So trieb nun der Graf die Schweine in die Nähe des Drachen.  Der kam geflogen, das Feuer lohte ihm aus allen Mäulern, und die Luft war dick mit Schwefel erfüllt. Der Graf aber verwandelte sich in einen Löwen und begann mit dem Drachen zu kämpfen. Es gelang ihm, drei Köpfe des Drachen abzureißen. Da schrie der Drache: "Hätte ich jetzt einen Schluck Blut von den Schweinen, hätte ich die Kraft und könnte dich vollends besiegen."
"Und hätte ich jetzt einen Schluck Wein und einen Bissen Brot", rief der Graf "dann hätte ich die Kraft und könnte dich vollends überwinden."
Er verwandelte sich zurück und trieb die Schweine dem Hofherren zu. Der wunderte sich, dass der Graf mit allen zurückkam.
Am zweiten Morgen trieb der Graf wiederum die Schweine in die Nähe des Drachen. Wieder kam der Drache geflogen, das Feuer lohte ihm aus den Mäulern, und der Schnee begann zu schmelzen. Wieder verwandelte sich der Graf in einen Löwen, um mit dem Drachen zu kämpfen. Es gelang ihm, fünf Köpfe des Drachen abzureißen, und der Drache schrie: "Hätte ich jetzt ein Schluck Blut von den Schweinen, dann hätte ich die Kraft und könnte dich vollends besiegen."
"Ja," sprach der Graf "und hätte ich jetzt einen Schluck Wein und einen Bissen Brot, dann könnte ich dich vollends überwinden."
Er verwandelte sich zurück, trieb die Schweine dem Hofherren zu, der sich wunderte, dass der Graf abermals mit allen zurückkehrte.
Er sprach zu seinem Diener: "Folge ihm morgen heimlich nach, um zu sehen was er macht auf der Weide. Nimm aber auch einen Laib Brot und einen Krug Wein mit, damit du ihm zu trinken und zu essen geben kannst, wenn es ihn hungert und dürstet."
So trieb der Graf am dritten Morgen, und es war gerade der Morgen des Heiligen Abends, noch einmal die Schweine in die Nähe des Drachen. Der Diener jedoch folgte ihm heimlich nach.  Der Drache kam abermals geflogen und das Feuer lohte ihm aus den Mäulern, so dass der Schnee ringsum zu schmelzen begann.
Wieder verwandelte sich der Graf in einen Löwen, um mit dem Drachen zu kämpfen und es gelang ihm, sechs Köpfe des Drachen abzureißen. Da schrie der Drache wieder: "Hätte ich jetzt einen Schluck Blut von den Schweinen, dann hätte ich die Kraft und könnte dich vollends besiegen."
"Ja," rief der Graf, "und hätte ich jetzt einen Schluck Wein und einen Bissen Brot, dann hätte ich die Kraft, dich vollends zu überwinden."
Da sprang der Diener aus seinem Versteck hinzu, und er gab dem Grafen einen Bissen von dem Laib Brot und einen Schluck aus dem Krug Wein. Daraufhin kehrte alle Kraft in den Grafen zurück. Er begann noch einmal mit dem Drachen zu kämpfen.  Und jetzt, jetzt gelang es ihm, alle sieben Köpfe auf einmal abzureißen. Siehe, da sprang aus dem siebenten Halsstumpf ein weißer, dreibeiniger Hase und der war schneller als der Wind. Der Graf aber verwandelte sich in einen Windhund, rannte dem Hasen nach und biß ihn. Da flog steil in die Lüfte eine Taube, aber der Graf verwandelte sich in einen Adler, jagte der Taube nach und schlug sie. Diese ließ den Karfunkelstein fallen. Und noch im Flug fing ihn der Graf auf. Er kam gerade auf der Spitze des gläsernen Berges zu stehen, und da sah er, dass es noch heller Morgen war. In diesem Moment fiel der Schnee vom Himmel, und alle Glocken im Tal begannen zu läuten. Da nahm der Graf den Karfunkelstein, warf ihn in die Bergesspalte und der gläserne Berg sank mit lautem Bersten zusammen. Aus dem Schloss aber kam der alte König mit seinen drei Töchtern. Die Jüngste lief auf den Grafen zu, umarmte ihn und sprach zu ihrem Vater: "Dies ist mein lieber Mann, der uns alle erlöst hat."
Dann spannten sie einen Schlitten an mit sechs Rappen davor, und sie fuhren nach Lothringen. Dort holten sie die alte Mutter und die drei Kinder des Grafen und der Schwanenfrau. Und der Graf und die Schwanenfrau, die wurden König und Königin in dem erlösten Schloss.

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