Freitag, 13. Dezember 2013

Alles zu seiner Zeit {Jule Märchen}


Die Göttin saß tief unten im Herzen der Erde am Feuer und wärmte ihre kraftvollen alten Hände an den lodernden Flammen von Lava und Glut. Lächelnd murmelte sie leise Worte der Magie und des Zaubers vor sich hin. Nur wenige versteckte Pfade reichen bis in ihr Zuhause, in die Tiefen der Berge, zum Mittelpunkt der Erde. Es ist nicht leicht zu ihr zu gelangen und wenig Besuch bekam sie um diese Zeit. Nur die Wurzeln der ältesten und weisesten Bäume waren durch die harte Kruste der Erde bis zu ihren Höhlen hinabgewachsen. Die stärksten Wurzeln schlangen sich liebevoll um das Feuer der Göttin und hielten es sacht und fest. Das Feuer pochte und glimmte wie ein schlagendes Herz. Die Bäume schliefen und träumten. Manchmal wenn man ganz still war, konnte man sie leise im Schlaf wispern hören: "Frau Holle, schick uns Schnee. Welke Blätter bedecken unsere Wurzeln, aber es ist so bitterkalt. Uns friert. Die Vöglein kuscheln sich zitternd an unsere Astkronen. Die Mäuschen bauen ihre Nester im Schutz unserer Wurzeln. Schick uns deinen Schnee, Frau Holle. Er ist so weich und bedeckt die Erde wie eine warme Decke." Die Göttin lächelte und Güte strahlte aus ihrem Gesicht. "Schhh" machte sie sacht und hielt sich einen Finger an den Mund. "Seid nicht so ungeduldig ihr Lieben. Zuerst kommt die Zeit der Stürme. Wenn der Winter einzieht und alle Blätter von den Bäumen fallen, wenn alles Grün verschwindet und es kalt und dunkel wird auf unsrer Erde, dann ziehen alle Menschen und Tiere sich in ihre warmen Häuser und Höhlen zurück. Die Samen und Naturgeister aber kommen zu mir, um bis zum nächsten Frühling zu schlafen und zu rasten." Und wirklich. Wohl behütet, sicher und geborgen schliefen alle Geschöpfe im warmen Schoss der Göttin, während die Winterstürme über die Erde fegten. Frau Holle sang mit ihrer tiefen vollen Stimme Baumfeen, Wurzelkinder, Blumenelfen und Igelbabys in den Schlaf und erzählte ihnen davon, was oben auf der Erde vor sich ging: "Hört ihr wie es grummelt und grollt? Wie der Wind jammert und tobt? Mein lieber Gefährte der Wode und seine wilden Jäger mit ihren stürmischen Himmelsponys, jagen über den Himmel. Sie jauchzen und heulen und treiben den Wind an. Es mach ihnen Spaß alles durcheinander zu wirbeln. Sie treiben die Wolken übers Land und locken die Nebelschwaden aus der Erde. Sie tanzen und hüllen alles mit meinen weißen Schleiern ein. So ist es schon immer gewesen, meine Lieben. Die Natur erholt sich, während ihr sicher und behütet schlummert und vom nächsten Sommer und seinen Freuden träumt. Sie aber, die wilden Jäger, reinigen die Luft, fegen die Erde sauber, entfachen die Feuer des Julfestes und lassen das Wasser der heiligen Quellen gefrieren. Bald wird es schneien. Und die Welt wird weiß und neu sein. Frisch und sauber für den nächsten Frühling, wenn wir alle aus unserem langen Schlaf erwachen. Wenn die Sonne wiederkehrt und uns mit ihrem Licht und ihrer Wärme zu neuem Leben erweckt. Alles zu seiner Zeit. Nun aber schlaft. Schlaft meine Lieben. Schlaft gut. Meine Kinder, meine lieben Geschöpfe, meine lieben Bäume. Gute Nacht." 

©zissa

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