Samstag, 7. April 2012

Tam Lin {Beltaine Märchen}


Die schöne Moira war die Tochter eines Grafen aus dem schottischen Unterland, der in seinem grauen Schloss inmitten grüner Weiden lebte. Eines Tages wurde es Moira zu langweilig immer nur in ihrem Zimmer zu nähen oder mit den Hofdamen ihres Vaters Schach zu spielen. So nahm sie ihren moosgrünen Umhang über die Schulter, flocht ihr rotes Haar zu einem Zopf und ging aus um die Wälder von Carterhaugh zu durchstreifen. Sie wanderte bei Sonnenschein durch ruhige, grasbewachsene Täler voll grüner Schatten, wo wilde Heckenrosen und Glockenblumen wuchsen. An einem der Heckenrosensträucher machte sie halt und streckte ihre Hand aus, pflückte eine blasse Rose und steckte sie sich ihren Gürtel an die Hüfte. Kaum hatte sie das getan, als ein junger Mann hinter dem Strauch hervor trat. "Wie kannst du es wagen die Rosen von Carterhaugh zu pflücken?" fragte er Moira. Erschrocken wich sie zurück. "Ich habe mir nichts dabei gedacht!" "Ich bin der Wächter dieser Wälder und muss aufpassen, dass niemand ihren Frieden stört!" Dann lächelte er plötzlich wie jemand, der lange nicht gelächelt hat, brach eine weitere Rose ab uns steckte sie Moira zu der anderen. "Jemandem wie dir würde ich alle Rosen von Carterhaugh geben." sagte er. "Wer bist du?" fragte Moira. "Mein Name ist Tam Lin" antwortete der junge Mann. Erschrocken warf sie die Rosen von sich und rief:"Von dir habe ich gehört. Du bist ein Feenritter!" "Du brauchst keine Angst zu haben", sagte Tam Lin, "wenn man mich auch Feenritter nennt, so bin ich doch als sterblicher Mensch geboren worden, wie du auch." Moira hörte verwundert zu, als er ihr seine Geschichte erzählte. "Mein Vater und meine Mutter starben, als ich noch ein Kind war. Mein Großvater, der Graf von Roxburgh, nahm mich zu sich. Eines Tages waren wir in diesem Wald auf der Jagd, als ein seltsamer kalter Wind aus dem Norden kam. Ich wurde sehr müde. Ich blieb hinter meinen Gefährten zurück und stürzte schließlich von meinem Pferd. Als ich erwachte, befand ich mich im Reich der Feen. Die Feenkönigin war gekommen, um mich zu stehlen, als ich schlief." Hier hielt Tam Lin inne und es war, als denke er an das grüne verzauberte Land. "Und seither" fuhr er fort "stehe ich unter dem Bann der Feenkönigin. Am Tage wache ich über die Wälder von Carterhaugh und in der Nacht kehre ich ins Feenreich zurück. O, Moira, wie gerne würde ich wieder in das Leben eines gewöhnlichen Sterblichen zurückkehren. Ich wünschte von ganzem Herzen, ich käme aus der Verzauberung los." Er sagte das so unglücklich, dass Moira ohne zu zögern fragte: "Und gibt es denn keine Möglichkeit, den Zauber zu brechen?" Da fasste Tam Lin sie bei den Händen und sprach: "Heute ist Beltaine, in dieser Nacht der Nächte, kann es erreicht werden, wenn man es versuchen will. Denn zu Beltaine reitet das Feenvolk aus und ich reite mit ihnen." "Ich werde kommen um dir zu helfen!" sagte Moira "Denn gar zu gerne würde ich das tun." "Wenn Mitternacht kommt musst du zum Kreuzweg gehen und dort warten, bis der Zug der Feen vorbeikommt. Reitet die erste Gruppe heran, so kümmere dich nicht um sie, sondern lasse sie vorüber, auch die zweite Gruppe musst du nicht beachten. Ich werde in der dritten Gruppe reiten. Mein Pferd ist eine milchweiße Stute und auf dem Kopf trage ich einen goldenen Reif. Dann lauf auf mich zu, reiß mich vom Pferd und nimm mich fest in deine Arme, so fest, dass ich in deiner Brust dein Herz spüren kann. Was immer dann auch geschieht, halte mich fest und las mich nicht los. Nur so kannst du mich zu den Sterblichen zurückholen. Und so tat sie denn, wie ihr gesagt worden war. Kurz vor zwölf in dieser Nacht eilte die schöne Moira zum Kreuzweg und wartete dort im Schatten eines Dornenbuschs. Die Bäche glitzerten im Mondlicht, die Büsche warfen seltsame Schatten und der Wind raschelte unruhig durch das Laub der Bäume. Ganz schwach hörte sie den Klang der Hufe und das Geräusch von Lederzeug. Da wusste sie, dass die Feenpferde unterwegs waren. Sie fror und nahm ihren Mantel fester um die Schultern und schaute die Straße abwartend hinunter. Zuerst sah sie das Blitzen eines silbernen Zaumzeugs, dann den weißen Blitz auf der Stirn eines Pferde, das zuerst kam. Bald war der ganze Feenzug zu sehen. Die Reiter hatten ihre schönen Gesichter zum Mond gewandt, und Feenlocken wehten hinter ihnen drein, als sie dahin ritten. Als die erste Abteilung vorbeikam, bei der sich die Feenkönigin auf einer schwarzen Stute befand, verhielt sie sich ganz still. Auch bei der zweiten Gruppe rührte sie sich nicht. Dann kam die dritte Abteilung, und sie entdeckte das milchweiße Pferd auf dem Tam Lin saß. Sie sah auch den Goldreif in seinem Haar. Da sprang sie aus dem Schatten hervor, griff die Zügel, zerrte den jungen Mann aus dem Sattel in ihre Arme und presste seinen Kopf an ihre Brust. Sofort erhob sich ein Geschrei: "Tam Lin ist verschwunden!" Auf ihrem Rappen kam die Feenkönigin angeprescht. Sie wandte sich um und richtete ihre schönen unmenschlichen Augen auf Moira und Tam Lin. Der Zauber der Feenkönigin traf Tam Lin, er wurde kleiner und kleiner und plötzlich merkte Moira, dass sie eine Eidechse an ihrem Busen hielt. Aus der Eidechse wurde eine schlüpfrige Schlange. Sie hatte Mühe das Tier festzuhalten. Der Schreck rann ihr durch die Glieder, als sich die Schlange in ein rotglühendes Eisen verwandelt. Tränen der Furcht rannen Moira über die Wangen, aber sie drückte Tam Lin an sich und ließ ihn nicht gehen. Da wusste die Feenkönigin, dass sie Tam Lin verloren geben musste, weil er die unnachgiebige Liebe einer sterblichen Frau gewonnen hatte und sie verwandelte ihn in seine ursprüngliche Gestalt zurück. Moira hielt plötzlich einen Mann umfangen, der nackt war, so wie er auf die Welt gekommen war aus dem Schoss seiner Mutter. Das Feenvolk hielt noch einmal an. Eine schmale grüne Hand schob sich vor und führte die milchweiße Stute fort, die Tam Lin geritten hatte. Dabei brach die Feenkönigin in bitteres Wehklagen aus: "Der schönste Ritter aus meinem Zug ist verloren an die Welt der Sterblichen. Adieu Tam Lin. Hätte ich gewusst, dass sich eine sterbliche Frau in dich verlieben würde, ich hätte ihr das Herz aus der Brust gerissen und ihr ein Herz aus Stein dafür eingesetzt. Hätte ich gewusst, dass die schöne Moira aus Carterhaugh kommt, ich hätte ihr ihre hübschen Augen aus dem Kopf gekratzt und ihr stattdessen ein Paar Holzaugen angehext." Als sie das rief, begann es hell zu werden und mit einem unheimlichen Schrei gaben die Reiter ihren Pferden die Sporen und verschwanden. Tam Lin aber küsste Moiras verbrannte Hände und zusammen liefen sie zu dem grauen Schloss, wo Moiras Vater wohnte.

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