Weit
von hier, in einem fernen Land, dort, wo die Schwalben hinfliegen,
wenn hier bei uns Winter ist, lebte ein König, der elf Söhne und
eine Tochter namens Alisa hatte. Oh, die Kinder hatten es sehr gut,
aber so sollte es nicht immer bleiben! Ihr Vater, der König über
das ganze Land war, verheiratete sich mit einer bösen Königin, die
den armen Kindern gar nicht gut war. Eine Woche nach der prachtvollen
Hochzeit brachte sie die kleine Alisa aufs Land zu einem Bauern, und
lange währte es nicht, da redete sie dem König so von den armen
Prinzen vor, dass er sich gar nicht mehr um sie kümmerte. „Fliegt
hinaus in die Welt und ernährt euch selbst“, sagte die böse
Königin eines Tages „fliegt wie große Vögel ohne Stimme!“ Aber
sie konnte es doch nicht so schlimm machen, wie sie gern wollte; sie
wurden elf herrliche wilde Schwäne. Mit einem sonderbaren Schrei
flogen sie zum Schlossfenster hinaus und über den Park und Wald
dahin. Als Alisa fünfzehn Jahre war, sollte sie nach Hause kommen,
doch als die Königin sah wie schön sie war, wurde sie ihr ganz
gram. Gern hätte sie Alisa in einen wilden Schwan verwandelt, wie
die Brüder, aber sie wagte nicht es zu tun, da der König ja seine
Tochter sehen wollte. So hieß sie Alisa ein Bad zu nehmen, nahm sie
beiseite, rieb sie mit Walnusssaft ein, so dass sie ganz schwarzbraun
wurde, bestrich ihre das hübsche Antlitz mit einer stinkenden Salbe
und ließ das herrliche Haar sich verwirren. Es war ganz unmöglich
die schöne Alisa wiederzuerkennen. Als ihr Vater sie sah, erschrak
er sehr und sage, es sei nicht seine Tochter. Da weinte die arme
Alisa und dachte an ihre elf Brüder, die alle weg waren. So stahl
sie sich aus dem Schloss davon und wanderte den ganzen Tag über Feld
und Moor. Schließlich erreichte Alisa einen Wald und als die Nacht
hereinbrach, legte sie sich auf das weiche Moos nieder und sprach ihr
Abendgebet. Die ganze Nacht träumte sie von ihren Brüdern und den
mutigen Taten welche sie vollbracht hatten. Im Traum spielten sie wie
sie als Kinder miteinander gespielt hatten. Als Alisa erwachte, stand
die Sonne schon hoch. Sie trat an einen kleinen klaren Waldsee heran
um ihren Durst zu stillen. Sobald sie im Spiegelbild des Wassers ihr
Gesicht erblickte, erschrak sie, so hässlich und braun war es. So
entkleidete sich das Königskind um sich im frischen Wasser zu baden.
Als sie wieder angekleidet war und ihr langes schwarzes Haar
geflochten hatte wanderte sie tiefer in den Wald hinein, ohne selbst
zu wissen wohin. Nachdem sie mit einigen Waldäpfeln ihren Hunger
besänftigt hatte kam sie in den dunkelsten Teil des Waldes hinein.
Da war es so still, dass sie ihre eigenen Fußtritte hörte und auch
jedes vertrocknete Blatt, dass sich unter ihrem Fuße bog. Bald
begegnete sie einer alten Frau, die einen Korb mit Beeren trug. Sie
gab Alisa davon zu essen und diese fragte, ob sie nicht elf Prinzen
durch den Wald hatte reiten sehen. „Nein“, sagte die Alte, „aber
ich sah gestern elf Schwäne den Fluss hier nahebei hinabschwimmen.“
Und sie führte Alisa ein Stück weit einen Abhang hinab, da
schlängelte sich ein Flüsschen entlang. Alisa sagte der Alten
Lebewohl und ging längs des Flüsschens, bis dahin wo es in die
große offenen See hineinfloss. Da entdeckte sie im angespülten
Seegras elf weiße Schwanenfedern, auf denen lagen Wassertropfen, ob
es nun Tau oder Tränen waren konnte niemand sagen. Einsam war es
dort am Strand und Alisa betrachtete in Ruhe die Bewegungen des
Wassers, welches sich hob und senkte, wie die Brust eines schlafenden
Kindes. Als die Sonne unterging sah Alisa elf wilde Schwäne dem
Lande zufliegen, die schwebten der eine hinter dem anderen, es sah
aus wie ein langes weißes Band. Alisa verbarg sich rasch hinter
einem Busch. Die Schwäne ließen sich nahe bei ihr nieder und als
die Sonne hinter dem Horizont versank, fiel das Schwanengefieder von
ihnen ab, und elf schöne Prinzen, Alisas Brüder, standen da. Sie
stieß einen Schrei aus, denn obwohl die Brüder sich sehr verändert
hatten, wusste Alisa doch, dass sie es waren, sie fühlte, dass sie
es sein mussten. Sie sprang in ihre Arme, nannte sie beim Namen, und
die Brüder fühlten sich sehr glücklich, als sie ihre kleine
Schwester erkannten, die nun so groß und schön war. Sie lachten und
weinten, und bald hatten sie einander erzählt, wie böse ihre
Stiefmutter gegen sie alle gewesen war. „Wir Brüder“, sprach der
Älteste „fliegen als wilde Schwäne, solange die Sonne am Himmel
steht, sobald sie untergeht, erhalten wir unsere menschliche Gestalt
zurück. Wir leben jedoch nicht mehr in unseres Vaters Königreich.
Jenseits der See liegt ein ebenso schönes Land wie dieses, doch der
Weg ist weit. Morgen fliegen wir dorthin zurück und können vor
Ablauf eines ganzen Jahres nicht zurückkehren. Doch wie sollen wir
dich mitnehmen? Wir haben weder Schiff noch Boot.“ „Hast du Mut
mitzukommen?“ sprach ihr anderer Bruder „Mein Arm ist stark
genug, dich durch den Wald zu tragen, sollten wir da nicht alle so
starke Flügel haben, um mit dir übers Meer zu fliegen?“ “Oh ja,
nehmt mich mit!“ bettelte Alisa. Die ganze Nacht verbrachten sie
damit ein Netz aus geschmeidiger Weidenrinde und zähem Schilf zu
flechten. Auf dieses legte Alisa sich und als die Sonne aufging und
die Brüder sich in wilde Schwäne verwandelten, ergriffen sie das
Netz mit ihren Schnäbeln und flogen mit ihrer lieben Schwester, die
noch schlief, hoch zu den Wolken empor. Sie waren weit vom Land
entfernt, als Alisa erwachte, sie glaubte noch zu träumen, so
sonderbar kam es ihr vor, hoch durch die Luft über das Meer getragen
zu werden. Als
die Sonne zu sinken begann, schwebten die elf Schwäne zu einer
herrlich im Abendrot glänzende Insel hinab. Als Alisas Fuß sanft
den weichen erdigen Grund berührte, sah sie in der Ferne zwischen
Bergketten und schneegekrönten Felsgipfeln, hoch am Himmelszelt ein
herrliches weiß strahlendes Schloss, welches das Licht des
aufgehenden Mondes zu reflektieren schien. Ihre Brüder, welches sich
wieder in ihre menschliche Gestalt verwandelt hatten sagten ihr, dass
dies das Wolkenschloss der Herrin Morgana sei, welches kein
menschliches Wesen je betreten dürfe. „Nun wollen wir sehen, was
du diese Nacht träumst“, sagte der jüngste Bruder und blickte sie
hoffnungsvoll an, als sie sich in einer bemoosten Höhle zum schlafen
niederlegten. „Gebe die Göttin, dass ich träume, wie ich euch
erretten kann“, sagte Alisa und dacht noch im Traum inniglich an
ihren Wunsch. Da kam es ihr vor, als ob sie hoch in die Luft fliege,
zum Wolkenschloss der Herrin Morgana, und eine Fee kam ihr entgegen,
so glänzend und schön, und doch glich sie ganz der alten Frau, die
ihr im Walde Beeren gegeben und ihr von den Schwänen erzählt hatte.
„Deine Brüder können erlöst werden“, sagte die Fee, „aber
hast du Mut und Ausdauer? Siehst du die Brennnessel, die ich in der
Hand halte? Von derselben Art wachsen viele rings um die Höhle, in
der du schläfst; nur die und die, welche auf den Hügelgräbern
wachsen, sind tauglich. Merke dir das: die musst du pflücken,
obgleich sie deine Haut verbrennen werden. Brich die Nesseln und
flicht draus elf Hemden. Wirfst du diese über die elf Schwäne, so
ist der Zauber gebrochen. Aber bedenke wohl, dass du von dem
Augenblick an, wo du diese Arbeit begehst, bis zu ihrer Vollendung
nicht sprechen darfst, sonst würde es den Tod deiner Brüder
bedeuten. Nicht ein einziges Wort. Merke dir dies gut!“ Als Alisa
erwachte war es heller Tag. Sie erblickte eine Nessel, wie jene, die
sie im Traum gesehen hatte, da verlies sie die Höhle um ihre Arbeit
zu beginnen. Alisa brach die Nesseln mit ihren bloßen Händen und
flocht grünen Flachs daraus. Große Blasen brannten sie wie Feuer an
Armen und Händen. Als die Sonne unterging und die Brüder
heimkehrten erschraken sie, die Schwester so stumm vorzufinden, doch
als sie Alisas Hände erblickten, begriffen sie, was sie ihrethalben
tat, und sie weinten, und wohin ihre Tränen fielen, da verschwanden
die brennenden Blasen. Alisa arbeitet die ganze Nacht lang und den
ganzen folgenden Tag. Ein Hemd hatte sie schon fertiggestellt, so
fing sie mit dem nächsten an. Da ertönte ein Jagdhorn in den
Bergen. Alisa wurde von Furcht ergriffen, sie band ihre Nesseln
zusammen und lief in die Höhle um sich zu verstecken. Die Hunde der
Jäger jedoch hatten ihre Fährte aufgenommen und schon standen alle
Jäger vor der Höhle. Der Schönste unter ihnen war der König des
Landes. Er trat auf Alisa zu. „Wie bist du hierher gekommen, du
herrliches Kind?“ fragte er. Alisa schüttelt den Kopf, sie durfte
ja nicht sprechen. Auch ihre verbrannten Hände versteckte sie unter
ihrer Schürze. „Komm mit mir“, sprach er, „hier darfst du
nicht bleiben.“ Und dann hob er sie auf sein Pferd. Sie weinte und
rang die Hände, doch schon jagte er fort durch die Berge und hielt
sie vorn auf dem Pferde. Als die Sonne unterging führte der König
sie in sein Schloss, wo man ihr königliche Kleider anlegte und ihr
die schwarzen Haare flocht. So schön war sie in all dieser Pracht,
dass der König sie zu seiner Braut auserkor, obwohl der Erzbischof
mit dem Kopf schüttelte und flüsterte, dass das schöne Waldmädchen
sicher eine Hexe sei, welche des Königs Augen blende. Der König
führte Alisa in eine kleine Kammer, welche mit grünen Teppichen
ausgelegt war, auch ihr Bund Flachs und das fertige Hemd hatte er
dorthin bringen lassen. Als Alisa das sah, was ihr so am Herzen lag,
spielte ein Lächeln um ihren Mund und das Blut kehrte in ihre Wangen
zurück. Sie dachte an die Erlösung ihrer Brüder, küsste des
Königs Hand, und er drückte sie an sein Herz und ließ das
Hochzeitsfest verkünden. So wurde die schöne stumme Alisa zur
Königin des Landes. Der Erzbischof flüsterte böse Worte in des
Königs Ohr, aber sie drangen nicht bis an sein Herz, denn wenn Alisa
auch traurig war und kein einziges Wort über ihre Lippen kam, so
sprach aus ihren Augen doch die innige Liebe zu dem guten König. Sie
gewann ihn von Tag zu Tag lieber. Sie wünschte sich nichts
sehnlicher als ihm ihr Leid zu klagen. Doch stumm musste sie bleiben.
Nachts schlich sie sich davon um in der kleinen Kammer an ihren
Hemden zu arbeiten, doch als sie das siebente begann, hatte sie
keinen Flachs mehr. Zu den alten Hügelgräbern musste sie um neue
Nesseln zu pflücken. So stahl sie sich in einer mondhellen Nacht
davon, sammelte die brennenden Nesseln und trug sie heim zum Schloss.
Nur ein einziger Mensch hatte sie gesehen, der Erzbischof. Er
berichtete dem König was er gesehen hatte und auch das Alisa eine
Hexe sei. Der König sprach kein Wort, doch rollten zwei schwere
Tränen über seine Wangen herab. Mit Zweifel kehrte er nach Hause
zurück und des Nachts stellte er sich schlafend, so konnte er
beobachten, wie Alisa Nacht für Nacht aufstand und in ihrer Kammer
verschwand. Mit jedem Tag wurde seine Miene finsterer und finsterer.
Alisa war nun bald mit ihrer Arbeit fertig, nur ein Hemd fehlte ihr
noch, doch hatte sie erneut kein Flachs mehr. Ein letztes Mal musste
sie zu den Grabhügeln gehen und Nesseln pflücken. Elisa ging, aber
der König und der Erzbischof folgten ihr, als sie sahen, wie sie auf
den Grabhügeln herumwanderte, geradeso wie sie glaubten eine Hexe
müsse es tun, wendete der König sich ab. „Das Volk soll das
Urteil sprechen!“ sagte er und das Volk verurteilte sie zum Tode
auf dem Scheiterhaufen. Man warf sie in ein dunkles, feuchtes Loch
und lies ihr nur ihre fertigen Hemden und ihren Bund Nesseln. Aber
nichts Lieberes hätte man ihr geben können und sie nahm wieder ihre
Arbeit auf. Da schwirrte gegen Abend dicht beim Gitter ein
Schwanenflügel, das war ihr jüngster Bruder, er hatte die Schwester
gefunden und sie schluchzte laut vor Freude, obgleich sie wusste,
dass die kommende Nacht ihre letzte sein sollte, doch ihre Arbeit war
ja fast beendet und ihre Brüder waren hier. Als man Alisa am Morgen
auf einem Karren zum Scheiterhaufen brachte, auf welchem sie als Hexe
verbrannt werden sollte, kreisten elf wilde Schwäne um das Schloss.
In schmutzige Kleider gehüllt mit wirrem Haar und totenbleichen
Wangen, lies Alisa alles über sich ergehen. Ihre Lippen bewegten
sich leise, während ihre Finger den grünen Flachs flochten, selbst
auf ihrem letzten Weg, unterbrach sie ihre Arbeit nicht. Zehn Hemden
lagen fertig zu ihren Füßen. An dem elften arbeitete sie
unablässlich. Die Menschen begannen sie zu verhöhnen: „Seht nur
die Hexe, wie sie murmelt! Und an ihrer hässlichen Arbeit sitzt
sie.“ Da wollten sie ihr die Hemden zerreißen, doch elf weiße
Schwäne kamen geflogen, die setzten sich ring um sie auf den Karren
und schlugen mit ihren großen Schwingen. Da wichen alle erschrocken
zurück. „Dass ist ein Zeichen des Himmels. Sie ist sicher
unschuldig!“ flüsterten viele, aber sie getrauten sich nicht es
laut zu sagen. Man ergriff sie an der Hand und wollte sie auf den
Scheiterhaufen führen, da warf sie hastig die elf Hemden über die
Schwäne, und sogleich standen elf schöne Prinzen da, der jüngst
aber hatte einen Schwanenflügel, denn es fehlte ein Ärmel an seinem
Hemd, den hatte sie nicht mehr fertig gebracht. „Nun darf ich
sprechen!“, rief Alisa, „Ich bin unschuldig!“ Als das Volk sah,
was geschehen war, neigte es sich vor ihr, aber Alisa sank ohnmächtig
in der Brüder Arme, so sehr hatten Angst und Schmerz sie gequält.
„Ja, unschuldig ist sie!“ sprach der älteste Bruder, und nun
erzählte er alles, was geschehen war, und während er sprach
verbreitete sich ein Duft wie von Tausend Rosen, denn jedes Stück
Brennholz im Scheiterhaufen hatte Wurzeln geschlagen und trieb
Zweige. Da stand eine duftende Hecke, hoch und groß mit roten Rosen,
ganz oben saß eine Blume, weiß und glänzend wie ein Stern. Die
pflückte der König und steckte sie Alisa ins Haar. Da erwachte sie,
atmete tief ein und es wurde ihr plötzlich wieder leicht und froh
ums Herz, als sie die Stimme ihres Mannes vernahm, der sie um
Verzeihung bat und in seine Arme schloss.
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