resource: John William Waterhouse |
Weit
draußen im Meer ist das Wasser so blau wie die Blätter der
schönsten Kornblume und so klar wie das reinste Glas. Aber es ist
sehr tief, tiefer, als irgendein Ankertau reicht; viele Türme
müssten aufeinandergestellt werden um vom Grund bis über das Wasser
zu reichen. Dort unten wohnt das Meervolk. Nun muss man aber nicht
glauben, dass da nur der nackte weiße Sandboden sei, nein, da
wachsen die sonderbarsten Bäume und Pflanzen, die so geschmeidig
sind, dass sie sich bei der geringsten Bewegung des Wassers rühren,
als würden sie tanzen. Kleine und große Fische schlüpfen zwischen
den Zweigen hindurch, so wie es hier oben die Vögel tun. An der
allertiefsten Stelle liegt des Meerkönigs Schloss. Die Mauern sind
aus Korallen und die Fenster aus klarem Bernstein. Das Dach ist aus
Muschelschalen, die sich
öffnen und schließen, je nachdem wie das Wasser strömt. Das sieht
herrlich aus, denn in jeder liegen strahlende Perlen. Dem Meerkönig
war vor vielen Jahren seine Frau gestorben, seine Mutter führte ihm
den Haushalt und übernahm auch die Erziehung seiner kleinen
Meerprinzessinnen. Es waren sechs wunderhübsche Meermädchen, doch
die Jüngste war die Schönste von allen. Ihre
Haut
war so klar und fein wie ein Rosenblatt, ihre Augen so blau wie der
tiefste See. Ihre Stimme tönte so hell und rein wie das Lied der
Sterne. Doch wie alle Meermenschen hatte sie keine Füße, ihr Körper
endete in einem schillernden grünen Fischschwanz. Eine jede der
kleinen Prinzessinnen hatte in dem Garten, welcher vor dem Schlosse
lag ein kleines Fleckchen, wo sie graben und pflanzen konnten, was
ihnen gefiel. Die Jüngste hatten ihr Gärtchen ganz rund, der Sonne
gleich, gestaltet und nur rote und goldene Blumen gepflanzt, welche
im Spiel des Wassers ihre Blütenblätter wie kleine Feuerflammen
bewegten. Sie war ein sonderbares Kind, still und nachdenklich. Und
es war ihre größte Freude alles über die Menschenwelt dort oben zu
hören. Die alte Großmutter musste ihr von Schiffen und Städten,
Menschen und Tieren erzählen. Ganz besonders gefielen ihr die
Geschichten von den duftenden Blumen, den grünen Wäldern und den
fliegenden und singenden Fischen. „Wenn ihr euer fünfzehntes Jahr
vollendet habt“, sagte die Großmutter „dann sollt ihr Erlaubnis
erhalten, aus dem Meer aufzutauchen, im
Mondschein
auf der Klippe zu sitzen und die großen Schiffe, Wälder und Städte
zu sehen.“ Da die kleine Seejungfrau jedoch die Jüngste ihrer
Schwestern war hatte sie noch fünf volle Jahre lang zu warten, bevor
sie vom Grund des Meeres hinauftauchen und all diese Wunder sehen
konnte. Keine wartete so sehnsüchtig wie sie. Manche Nacht stand sie
am offenen Fenster und sah durch das dunkelblaue Wasser empor. Mond
und Sterne konnte sie sehen. Glitt dann eine schwarze Wolke über ihr
dahin wusste, sie dass es entweder ein Walfisch war oder auch ein
Schiff mit vielen Menschen. Wenn ihre älteren Schwestern von ihren
Besuchen an der Wasseroberfläche zurückkehrten hatten sie
wundersame Dinge zu erzählen und die Sehnsucht
der
kleinen Seejungfrau wurde schier unerträglich. Dann – endlich war
auch sie fünfzehn Jahre alt. „Sieh, nun bist du erwachsen“,
sagte ihre Großmutter „Komm und lass mich dich schmücken, wie
deine Schwestern.“ Sie setzte ihr einen perlengeschmückten Kranz
weißer Lilien aufs Haar und flocht ihr acht große Austern um den
Fischleib. „Lebt wohl!“ sprach die Prinzessin und stieg leicht
und klar wie ein kleine Blase im Wasser auf. Die Sonne war gerade
untergegangen, als sie den Kopf über das Wasser erhob, aber alle
Wolken glänzten noch wie Rosen und Gold. In der Mitte des Himmels
strahlte der Abendstern gar hell und schön, die Luft war mild und
frisch und das Meer ganz ruhig. Da lag ein großes Schiff mit drei
Masten und aufgezogenen Segeln und auf ihm erklang Musik und Gesang,
und wie der Abend dunkler ward, zündete man hundert bunte Lichter
an. Die
kleine Seejungfrau schwamm näher um all die Schönheit und Pracht zu
bewundern. Doch am allermeisten gefiel ihr der junge Prinz mit den
großen schwarzen Augen, dessen Geburtstag in allen Ehren auf dem
Schiff gefeiert wurde. Als der Prinz zu den versammelten Menschen
trat und sie ihm voller Freude die Hände schüttelten stiegen
unzählige Raketen in die Luft. Sie leuchteten wie die Sonne und die
kleine Seejungfrau glaubte die Sterne des Himmel fielen mit ihren
Funken zu ihr herab. Stunde um Stunde verging, doch sie konnte ihre
Augen nicht von dem schönen jungen Mann abwenden. Tief unten im Meer
begann es zu summen und zu brummen und das Wasser schaukelte unruhig
auf und nieder. Große Wolken zogen auf und in der Ferne begann es zu
blitzen. Da wusste die kleine Seejungfrau, dass es ein schreckliches
Unwetter geben würde. Das Wasser begann sich in Massen aufzutürmen
und das Schiff knackte und krachte stöhnend, der Maste brach
mittendurch und die wilde See schlug über den Seiten
des
Schiffes zusammen. Da begriff die Meerprinzessin, dass die Menschen
sich in großer Gefahr befanden und als sie sah, wie das Meer das
Schiff in Stück riss, tauchte sie zwischen den Balken und Planken
herum und bemühte sich darum den Prinzen zu finden. Immerzu dachte
sie daran, dass Menschen nicht im Wasser leben konnten. Schließlich
entdeckte sie ihn in der stürmischen See; seine Arme und Beine
begannen zu ermatten, die schönen Augen schlossen sich, er hätte
sterben müssen, wäre ihm die kleine Seejungfrau nicht zur Hilfe
geeilt. Zärtlich nahm sie ihn in ihre Arme und hielt die ganze Nacht
lang seinen Kopf über Wasser. Seine Augen blieben geschlossen doch
er atmete und lebte. Am nächsten Morgen, als das böse Wetter
vorüber war, erblickte sie vor sich festes Land und hohe blaue
Berge. Da schwamm sie in einer kleinen Bucht
ans
Ufer, legte den Prinzen so gut sie vermochte in den feinen weißen
Sand und versteckte sich hinter einer Klippe um nicht gesehen zu
werden. Da kamen viele junge Mädchen durch einen nahen Garten
gelaufen. Eines von ihnen entdeckte den bewusstlosen Prinzen am
Meeresrand. Zuerst erschrak das Mädchen, doch dann eilte es fort,
Hilfe zu holen. Menschen kamen und die kleine Seejungfrau konnte
beobachten wie der Prinz zum Leben zurückkehrte. Er wusste nicht
dass sie ihn gerettet hatte und so tauchte sie traurig zum Schloss
ihres Vaters zurück.
Niemandem
erzählte sie, was ihr widerfahren war. Manchen Abend und Morgen
stieg sie dort hinauf, wo sie den Prinzen verlassen hatte, doch
niemals mehr erblickte sie ihn und kehrte betrübt heim. Da wurde sie
immer trauriger und stiller, bis sie sich zuletzt nicht mehr zu
helfen wusste und ihren Schwestern alles erzählte. Eine von ihnen
wusste, wer der Prinz war und wo sein Königreich lag. „Komm kleine
Schwester“, sagten die Prinzessinnen und stiegen gemeinsam
bei
dem Schloss des Prinzen aus dem Meer. Nun wusste sie, wo er wohnte.
Oft tauchte sie nahe beim Schloss empor und betrachtete den jungen
Prinzen, der da glaubte er sei ganz allein, im hellen Schein des
Mondes. Mehr und mehr begann sie den Prinzen zu lieben, mehr und mehr
wünschte sie sich mit ihm auf der Erde wandeln und an seiner Seite
leben zu können. Schließlich war sie so verzweifelt, dass sie
beschloss die Meerhexe um Rat zu bitten. So machte sie sich auf den
Weg zu den brausenden Strudeln, hinter welchen diese lebte. Als sie
das Haus der Hexe
erreichte
klopfte ihr Herz vor Furcht und sie wäre am liebsten wieder
umgekehrt, aber dann dachte sie an den Prinzen und das gab ihr neuen
Mut. „Ich weiß schon, was du willst“, sprach die Meerhexe, als
sich die kleine Seejungfrau näherte „Du willst deinen Fischschwanz
lossein und statt dessen zwei Beine zum Gehen haben, damit sich der
junge Prinz in dich verlieben möge und du ihn und eine unsterbliche
Seele erhalten kannst. Ich werde dir einen Trank bereiten, mit dem
musst du bevor die Sonne untergeht an Land schwimmen. Setzte dich
dort ans Ufer und nimm den Trank zu dir, dann wir dein Schwanz sich
in zwei Beine verwandeln. Aber es wird weh tun und jeder Schritt, den
du machen wirst wird dir Schmerzen bereiten. Auch kannst du nie
wieder eine Seejungfrau werden, wenn du erst menschliche Gestalt
angenommen hast und solltest du die Liebe des Prinzen nicht gewinnen
wirst du dich am Morgen nach seiner Hochzeit in Meerschaum
verwandeln. Willst du all dies erleiden, so werde ich dir helfen.“
„Ja ich will es“ beteuerte die Prinzessin todesbleich und
gedachte in ihrem Herzen des Prinzen. „Aber mich musst du auch
bezahlen“, sagte die Hexe „Was ich will ist deine Stimme, denn
sie ist die schönste von allen hier auf dem Meeresgrund!“ Da
erschrak die kleine Seejungfrau, doch sprach sie mit zitternder
Stimme: „So sei es!“ Da braute die Hexe den Trank und die nun
stumme Prinzessin nahm ihn entgegen und tauchte aus dem Meer auf. Der
Trank fuhr wie ein Schwert durch ihren feinen Körper und sie fiel in
Ohnmacht und lag wie tot da. Als sie die Augen wieder aufschlug,
stand der Prinz vor ihr, betrachtete sie mit seinen schönen
schwarzen Augen und wollte wissen, wer sie denn sei. Doch
sie
konnte ja nicht mehr sprechen. Da nahm er sie bei der Hand und führte
sie auf ihren beiden Beinen in sein Schloss. Er schenkte ihr kostbare
Kleider und Schmuck und sie war die Schönste von allen. Doch sie
konnte nicht sprechen, nicht lachen, nicht singen. Der Prinz war
entzückt von ihrem anmutigen Tanz, doch jeder Schritt schnitt ihr
wie ein Messer in die Fußsohlen. Er
nannte
sie sein Findelkind und sagte, dass sie immer bei ihm bleiben solle.
Tag für Tag wurde sie dem Prinzen lieber. Er liebte sie, wie man ein
gutes, liebes Kind liebt, aber sie zu seiner Königin zu machen, kam
ihm nicht in den Sinn. Und seine Frau werden, musste sie doch, sonst
würde sie sich an seinem Hochzeitsmorgen in Meerschaum verwandeln.
Nun sollte der Prinz sich verheiraten und des Nachbarskönigs schöne
Tochter zur Frau bekommen. So rüstete er sein
Schiff,
brach auf um die ihm Versprochene zu sehen und die kleine Seejungfrau
begleitete ihn. Schließlich segelte das Schiff in den Hafen der
Nachbarkönigs ein. Als die Prinzessin eintraf erkannte der Prinz in
ihr jenes Mädchen welches ihm am Strand zu Hilfe gekommen war. Er
verliebte sich augenblicklich in sie und wollte sie zur Frau nehmen.
Die kleine Seejungfrau,
glaubte
ihr Herz müsse brechen, denn sein Hochzeitsmorgen würde ihr ja den
Tod bringen. Am Tage der Hochzeit stand sie in Gold und Silber
gekleidet hinter dem Brautpaar in der Kirche als dieses den Segen
empfing. Doch sie war so traurig, dass sie die festliche Musik und
die Freudenrufe nicht
vernahm. Noch am selben Abend gingen Braut und Bräutigam an Bord des
Schiffes um in des Prinzen Reich zurückzukehren. Als es still wurde
auf dem Schiff blickt die kleine Seejungfrau nach Osten um die ersten
Sonnenstrahlen der Morgendämmerung zu erwarten. Da sah sie ihre
Schwestern der Flut entsteigen. „Wir haben die Meerhexe um Rat
gebeten. Sie gab uns dieses Messer. Wenn du dein Leben retten willst,
musst du bevor die Sonne aufgeht, den Prinzen töten und wenn du mit
seinem Blut deine Füße bespritzt, werden sie sich wieder in einen
Fischschwanz verwandeln. Beeile dich! Er muss sterben oder du, doch
bevor
die Sonne aufgeht.“ Die kleine Seejungfrau nahm das Messer entgegen
und eilte damit in das Zelt in welchem der Prinz und seine Frau
friedlich schliefen. Sie blickte auf ihn hinab und konnte ihn nicht
töten. Schon begann der Morgen zu dämmern. Sanft küsste sie den
Prinzen auf die Stirn und warf das Messer ins Wasser zurück. Dann
stürzte sie sich ins Meer hinab und fühlte, wie ihr Körper sich in
Schaum aufzulösen begann. Nun stieg die Sonne aus dem Meere auf,
doch die kleine Meerjungfrau fühlte nicht den Tod. Sie sah die helle
Sonne und über ihr schwebten Hunderte von durchsichtigen herrlichen
Gestalten, deren Sprache klang wie eine Melodie. Sie selbst schwebte
in ihrer Mitte und hatte einen Körper gleich diesen Geschöpfen.
„Wohin komme ich?“ fragte sie. „Zu den Töchtern der Luft!“
antworteten die herrlichen Wesen „Wir sind die guten Elfen der
Erde. Wir sind der Duft der Blumen und der erfrischende Hauch des
Windes. Nun bist du eine von uns.“ Da lächelte die kleine
Seejungfrau und unsichtbar küsste sie den Prinzen und seine Braut,
welche auf das Schiffsdeck getreten waren auf die Stirn. Dann stieg
sie mit den übrigen Kindern der Luft zu einer rosaroten Wolke
hinauf.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen