Donnerstag, 15. August 2013

Die kleine Seejungfrau {Lughnasadh Märchen}

resource: John William Waterhouse
 
Weit draußen im Meer ist das Wasser so blau wie die Blätter der schönsten Kornblume und so klar wie das reinste Glas. Aber es ist sehr tief, tiefer, als irgendein Ankertau reicht; viele Türme müssten aufeinandergestellt werden um vom Grund bis über das Wasser zu reichen. Dort unten wohnt das Meervolk. Nun muss man aber nicht glauben, dass da nur der nackte weiße Sandboden sei, nein, da wachsen die sonderbarsten Bäume und Pflanzen, die so geschmeidig sind, dass sie sich bei der geringsten Bewegung des Wassers rühren, als würden sie tanzen. Kleine und große Fische schlüpfen zwischen den Zweigen hindurch, so wie es hier oben die Vögel tun. An der allertiefsten Stelle liegt des Meerkönigs Schloss. Die Mauern sind aus Korallen und die Fenster aus klarem Bernstein. Das Dach ist aus Muschelschalen, die sich öffnen und schließen, je nachdem wie das Wasser strömt. Das sieht herrlich aus, denn in jeder liegen strahlende Perlen. Dem Meerkönig war vor vielen Jahren seine Frau gestorben, seine Mutter führte ihm den Haushalt und übernahm auch die Erziehung seiner kleinen Meerprinzessinnen. Es waren sechs wunderhübsche Meermädchen, doch die Jüngste war die Schönste von allen. Ihre Haut war so klar und fein wie ein Rosenblatt, ihre Augen so blau wie der tiefste See. Ihre Stimme tönte so hell und rein wie das Lied der Sterne. Doch wie alle Meermenschen hatte sie keine Füße, ihr Körper endete in einem schillernden grünen Fischschwanz. Eine jede der kleinen Prinzessinnen hatte in dem Garten, welcher vor dem Schlosse lag ein kleines Fleckchen, wo sie graben und pflanzen konnten, was ihnen gefiel. Die Jüngste hatten ihr Gärtchen ganz rund, der Sonne gleich, gestaltet und nur rote und goldene Blumen gepflanzt, welche im Spiel des Wassers ihre Blütenblätter wie kleine Feuerflammen bewegten. Sie war ein sonderbares Kind, still und nachdenklich. Und es war ihre größte Freude alles über die Menschenwelt dort oben zu hören. Die alte Großmutter musste ihr von Schiffen und Städten, Menschen und Tieren erzählen. Ganz besonders gefielen ihr die Geschichten von den duftenden Blumen, den grünen Wäldern und den fliegenden und singenden Fischen. „Wenn ihr euer fünfzehntes Jahr vollendet habt“, sagte die Großmutter „dann sollt ihr Erlaubnis erhalten, aus dem Meer aufzutauchen, im Mondschein auf der Klippe zu sitzen und die großen Schiffe, Wälder und Städte zu sehen.“ Da die kleine Seejungfrau jedoch die Jüngste ihrer Schwestern war hatte sie noch fünf volle Jahre lang zu warten, bevor sie vom Grund des Meeres hinauftauchen und all diese Wunder sehen konnte. Keine wartete so sehnsüchtig wie sie. Manche Nacht stand sie am offenen Fenster und sah durch das dunkelblaue Wasser empor. Mond und Sterne konnte sie sehen. Glitt dann eine schwarze Wolke über ihr dahin wusste, sie dass es entweder ein Walfisch war oder auch ein Schiff mit vielen Menschen. Wenn ihre älteren Schwestern von ihren Besuchen an der Wasseroberfläche zurückkehrten hatten sie wundersame Dinge zu erzählen und die Sehnsucht der kleinen Seejungfrau wurde schier unerträglich. Dann – endlich war auch sie fünfzehn Jahre alt. „Sieh, nun bist du erwachsen“, sagte ihre Großmutter „Komm und lass mich dich schmücken, wie deine Schwestern.“ Sie setzte ihr einen perlengeschmückten Kranz weißer Lilien aufs Haar und flocht ihr acht große Austern um den Fischleib. „Lebt wohl!“ sprach die Prinzessin und stieg leicht und klar wie ein kleine Blase im Wasser auf. Die Sonne war gerade untergegangen, als sie den Kopf über das Wasser erhob, aber alle Wolken glänzten noch wie Rosen und Gold. In der Mitte des Himmels strahlte der Abendstern gar hell und schön, die Luft war mild und frisch und das Meer ganz ruhig. Da lag ein großes Schiff mit drei Masten und aufgezogenen Segeln und auf ihm erklang Musik und Gesang, und wie der Abend dunkler ward, zündete man hundert bunte Lichter an. Die kleine Seejungfrau schwamm näher um all die Schönheit und Pracht zu bewundern. Doch am allermeisten gefiel ihr der junge Prinz mit den großen schwarzen Augen, dessen Geburtstag in allen Ehren auf dem Schiff gefeiert wurde. Als der Prinz zu den versammelten Menschen trat und sie ihm voller Freude die Hände schüttelten stiegen unzählige Raketen in die Luft. Sie leuchteten wie die Sonne und die kleine Seejungfrau glaubte die Sterne des Himmel fielen mit ihren Funken zu ihr herab. Stunde um Stunde verging, doch sie konnte ihre Augen nicht von dem schönen jungen Mann abwenden. Tief unten im Meer begann es zu summen und zu brummen und das Wasser schaukelte unruhig auf und nieder. Große Wolken zogen auf und in der Ferne begann es zu blitzen. Da wusste die kleine Seejungfrau, dass es ein schreckliches Unwetter geben würde. Das Wasser begann sich in Massen aufzutürmen und das Schiff knackte und krachte stöhnend, der Maste brach mittendurch und die wilde See schlug über den Seiten des Schiffes zusammen. Da begriff die Meerprinzessin, dass die Menschen sich in großer Gefahr befanden und als sie sah, wie das Meer das Schiff in Stück riss, tauchte sie zwischen den Balken und Planken herum und bemühte sich darum den Prinzen zu finden. Immerzu dachte sie daran, dass Menschen nicht im Wasser leben konnten. Schließlich entdeckte sie ihn in der stürmischen See; seine Arme und Beine begannen zu ermatten, die schönen Augen schlossen sich, er hätte sterben müssen, wäre ihm die kleine Seejungfrau nicht zur Hilfe geeilt. Zärtlich nahm sie ihn in ihre Arme und hielt die ganze Nacht lang seinen Kopf über Wasser. Seine Augen blieben geschlossen doch er atmete und lebte. Am nächsten Morgen, als das böse Wetter vorüber war, erblickte sie vor sich festes Land und hohe blaue Berge. Da schwamm sie in einer kleinen Bucht ans Ufer, legte den Prinzen so gut sie vermochte in den feinen weißen Sand und versteckte sich hinter einer Klippe um nicht gesehen zu werden. Da kamen viele junge Mädchen durch einen nahen Garten gelaufen. Eines von ihnen entdeckte den bewusstlosen Prinzen am Meeresrand. Zuerst erschrak das Mädchen, doch dann eilte es fort, Hilfe zu holen. Menschen kamen und die kleine Seejungfrau konnte beobachten wie der Prinz zum Leben zurückkehrte. Er wusste nicht dass sie ihn gerettet hatte und so tauchte sie traurig zum Schloss ihres Vaters zurück. Niemandem erzählte sie, was ihr widerfahren war. Manchen Abend und Morgen stieg sie dort hinauf, wo sie den Prinzen verlassen hatte, doch niemals mehr erblickte sie ihn und kehrte betrübt heim. Da wurde sie immer trauriger und stiller, bis sie sich zuletzt nicht mehr zu helfen wusste und ihren Schwestern alles erzählte. Eine von ihnen wusste, wer der Prinz war und wo sein Königreich lag. „Komm kleine Schwester“, sagten die Prinzessinnen und stiegen gemeinsam bei dem Schloss des Prinzen aus dem Meer. Nun wusste sie, wo er wohnte. Oft tauchte sie nahe beim Schloss empor und betrachtete den jungen Prinzen, der da glaubte er sei ganz allein, im hellen Schein des Mondes. Mehr und mehr begann sie den Prinzen zu lieben, mehr und mehr wünschte sie sich mit ihm auf der Erde wandeln und an seiner Seite leben zu können. Schließlich war sie so verzweifelt, dass sie beschloss die Meerhexe um Rat zu bitten. So machte sie sich auf den Weg zu den brausenden Strudeln, hinter welchen diese lebte. Als sie das Haus der Hexe erreichte klopfte ihr Herz vor Furcht und sie wäre am liebsten wieder umgekehrt, aber dann dachte sie an den Prinzen und das gab ihr neuen Mut. „Ich weiß schon, was du willst“, sprach die Meerhexe, als sich die kleine Seejungfrau näherte „Du willst deinen Fischschwanz lossein und statt dessen zwei Beine zum Gehen haben, damit sich der junge Prinz in dich verlieben möge und du ihn und eine unsterbliche Seele erhalten kannst. Ich werde dir einen Trank bereiten, mit dem musst du bevor die Sonne untergeht an Land schwimmen. Setzte dich dort ans Ufer und nimm den Trank zu dir, dann wir dein Schwanz sich in zwei Beine verwandeln. Aber es wird weh tun und jeder Schritt, den du machen wirst wird dir Schmerzen bereiten. Auch kannst du nie wieder eine Seejungfrau werden, wenn du erst menschliche Gestalt angenommen hast und solltest du die Liebe des Prinzen nicht gewinnen wirst du dich am Morgen nach seiner Hochzeit in Meerschaum verwandeln. Willst du all dies erleiden, so werde ich dir helfen.“ „Ja ich will es“ beteuerte die Prinzessin todesbleich und gedachte in ihrem Herzen des Prinzen. „Aber mich musst du auch bezahlen“, sagte die Hexe „Was ich will ist deine Stimme, denn sie ist die schönste von allen hier auf dem Meeresgrund!“ Da erschrak die kleine Seejungfrau, doch sprach sie mit zitternder Stimme: „So sei es!“ Da braute die Hexe den Trank und die nun stumme Prinzessin nahm ihn entgegen und tauchte aus dem Meer auf. Der Trank fuhr wie ein Schwert durch ihren feinen Körper und sie fiel in Ohnmacht und lag wie tot da. Als sie die Augen wieder aufschlug, stand der Prinz vor ihr, betrachtete sie mit seinen schönen schwarzen Augen und wollte wissen, wer sie denn sei. Doch sie konnte ja nicht mehr sprechen. Da nahm er sie bei der Hand und führte sie auf ihren beiden Beinen in sein Schloss. Er schenkte ihr kostbare Kleider und Schmuck und sie war die Schönste von allen. Doch sie konnte nicht sprechen, nicht lachen, nicht singen. Der Prinz war entzückt von ihrem anmutigen Tanz, doch jeder Schritt schnitt ihr wie ein Messer in die Fußsohlen. Er nannte sie sein Findelkind und sagte, dass sie immer bei ihm bleiben solle. Tag für Tag wurde sie dem Prinzen lieber. Er liebte sie, wie man ein gutes, liebes Kind liebt, aber sie zu seiner Königin zu machen, kam ihm nicht in den Sinn. Und seine Frau werden, musste sie doch, sonst würde sie sich an seinem Hochzeitsmorgen in Meerschaum verwandeln. Nun sollte der Prinz sich verheiraten und des Nachbarskönigs schöne Tochter zur Frau bekommen. So rüstete er sein Schiff, brach auf um die ihm Versprochene zu sehen und die kleine Seejungfrau begleitete ihn. Schließlich segelte das Schiff in den Hafen der Nachbarkönigs ein. Als die Prinzessin eintraf erkannte der Prinz in ihr jenes Mädchen welches ihm am Strand zu Hilfe gekommen war. Er verliebte sich augenblicklich in sie und wollte sie zur Frau nehmen. Die kleine Seejungfrau, glaubte ihr Herz müsse brechen, denn sein Hochzeitsmorgen würde ihr ja den Tod bringen. Am Tage der Hochzeit stand sie in Gold und Silber gekleidet hinter dem Brautpaar in der Kirche als dieses den Segen empfing. Doch sie war so traurig, dass sie die festliche Musik und die Freudenrufe nicht vernahm. Noch am selben Abend gingen Braut und Bräutigam an Bord des Schiffes um in des Prinzen Reich zurückzukehren. Als es still wurde auf dem Schiff blickt die kleine Seejungfrau nach Osten um die ersten Sonnenstrahlen der Morgendämmerung zu erwarten. Da sah sie ihre Schwestern der Flut entsteigen. „Wir haben die Meerhexe um Rat gebeten. Sie gab uns dieses Messer. Wenn du dein Leben retten willst, musst du bevor die Sonne aufgeht, den Prinzen töten und wenn du mit seinem Blut deine Füße bespritzt, werden sie sich wieder in einen Fischschwanz verwandeln. Beeile dich! Er muss sterben oder du, doch bevor die Sonne aufgeht.“ Die kleine Seejungfrau nahm das Messer entgegen und eilte damit in das Zelt in welchem der Prinz und seine Frau friedlich schliefen. Sie blickte auf ihn hinab und konnte ihn nicht töten. Schon begann der Morgen zu dämmern. Sanft küsste sie den Prinzen auf die Stirn und warf das Messer ins Wasser zurück. Dann stürzte sie sich ins Meer hinab und fühlte, wie ihr Körper sich in Schaum aufzulösen begann. Nun stieg die Sonne aus dem Meere auf, doch die kleine Meerjungfrau fühlte nicht den Tod. Sie sah die helle Sonne und über ihr schwebten Hunderte von durchsichtigen herrlichen Gestalten, deren Sprache klang wie eine Melodie. Sie selbst schwebte in ihrer Mitte und hatte einen Körper gleich diesen Geschöpfen. „Wohin komme ich?“ fragte sie. „Zu den Töchtern der Luft!“ antworteten die herrlichen Wesen „Wir sind die guten Elfen der Erde. Wir sind der Duft der Blumen und der erfrischende Hauch des Windes. Nun bist du eine von uns.“ Da lächelte die kleine Seejungfrau und unsichtbar küsste sie den Prinzen und seine Braut, welche auf das Schiffsdeck getreten waren auf die Stirn. Dann stieg sie mit den übrigen Kindern der Luft zu einer rosaroten Wolke hinauf.

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