Freitag, 21. Juni 2013

Die wilden Schwäne {Litha Märchen}


Weit von hier, in einem fernen Land, dort, wo die Schwalben hinfliegen, wenn hier bei uns Winter ist, lebte ein König, der elf Söhne und eine Tochter namens Alisa hatte. Oh, die Kinder hatten es sehr gut, aber so sollte es nicht immer bleiben! Ihr Vater, der König über das ganze Land war, verheiratete sich mit einer bösen Königin, die den armen Kindern gar nicht gut war. Eine Woche nach der prachtvollen Hochzeit brachte sie die kleine Alisa aufs Land zu einem Bauern, und lange währte es nicht, da redete sie dem König so von den armen Prinzen vor, dass er sich gar nicht mehr um sie kümmerte. „Fliegt hinaus in die Welt und ernährt euch selbst“, sagte die böse Königin eines Tages „fliegt wie große Vögel ohne Stimme!“ Aber sie konnte es doch nicht so schlimm machen, wie sie gern wollte; sie wurden elf herrliche wilde Schwäne. Mit einem sonderbaren Schrei flogen sie zum Schlossfenster hinaus und über den Park und Wald dahin. Als Alisa fünfzehn Jahre war, sollte sie nach Hause kommen, doch als die Königin sah wie schön sie war, wurde sie ihr ganz gram. Gern hätte sie Alisa in einen wilden Schwan verwandelt, wie die Brüder, aber sie wagte nicht es zu tun, da der König ja seine Tochter sehen wollte. So hieß sie Alisa ein Bad zu nehmen, nahm sie beiseite, rieb sie mit Walnusssaft ein, so dass sie ganz schwarzbraun wurde, bestrich ihre das hübsche Antlitz mit einer stinkenden Salbe und ließ das herrliche Haar sich verwirren. Es war ganz unmöglich die schöne Alisa wiederzuerkennen. Als ihr Vater sie sah, erschrak er sehr und sage, es sei nicht seine Tochter. Da weinte die arme Alisa und dachte an ihre elf Brüder, die alle weg waren. So stahl sie sich aus dem Schloss davon und wanderte den ganzen Tag über Feld und Moor. Schließlich erreichte Alisa einen Wald und als die Nacht hereinbrach, legte sie sich auf das weiche Moos nieder und sprach ihr Abendgebet. Die ganze Nacht träumte sie von ihren Brüdern und den mutigen Taten welche sie vollbracht hatten. Im Traum spielten sie wie sie als Kinder miteinander gespielt hatten. Als Alisa erwachte, stand die Sonne schon hoch. Sie trat an einen kleinen klaren Waldsee heran um ihren Durst zu stillen. Sobald sie im Spiegelbild des Wassers ihr Gesicht erblickte, erschrak sie, so hässlich und braun war es. So entkleidete sich das Königskind um sich im frischen Wasser zu baden. Als sie wieder angekleidet war und ihr langes schwarzes Haar geflochten hatte wanderte sie tiefer in den Wald hinein, ohne selbst zu wissen wohin. Nachdem sie mit einigen Waldäpfeln ihren Hunger besänftigt hatte kam sie in den dunkelsten Teil des Waldes hinein. Da war es so still, dass sie ihre eigenen Fußtritte hörte und auch jedes vertrocknete Blatt, dass sich unter ihrem Fuße bog. Bald begegnete sie einer alten Frau, die einen Korb mit Beeren trug. Sie gab Alisa davon zu essen und diese fragte, ob sie nicht elf Prinzen durch den Wald hatte reiten sehen. „Nein“, sagte die Alte, „aber ich sah gestern elf Schwäne den Fluss hier nahebei hinabschwimmen.“ Und sie führte Alisa ein Stück weit einen Abhang hinab, da schlängelte sich ein Flüsschen entlang. Alisa sagte der Alten Lebewohl und ging längs des Flüsschens, bis dahin wo es in die große offenen See hineinfloss. Da entdeckte sie im angespülten Seegras elf weiße Schwanenfedern, auf denen lagen Wassertropfen, ob es nun Tau oder Tränen waren konnte niemand sagen. Einsam war es dort am Strand und Alisa betrachtete in Ruhe die Bewegungen des Wassers, welches sich hob und senkte, wie die Brust eines schlafenden Kindes. Als die Sonne unterging sah Alisa elf wilde Schwäne dem Lande zufliegen, die schwebten der eine hinter dem anderen, es sah aus wie ein langes weißes Band. Alisa verbarg sich rasch hinter einem Busch. Die Schwäne ließen sich nahe bei ihr nieder und als die Sonne hinter dem Horizont versank, fiel das Schwanengefieder von ihnen ab, und elf schöne Prinzen, Alisas Brüder, standen da. Sie stieß einen Schrei aus, denn obwohl die Brüder sich sehr verändert hatten, wusste Alisa doch, dass sie es waren, sie fühlte, dass sie es sein mussten. Sie sprang in ihre Arme, nannte sie beim Namen, und die Brüder fühlten sich sehr glücklich, als sie ihre kleine Schwester erkannten, die nun so groß und schön war. Sie lachten und weinten, und bald hatten sie einander erzählt, wie böse ihre Stiefmutter gegen sie alle gewesen war. „Wir Brüder“, sprach der Älteste „fliegen als wilde Schwäne, solange die Sonne am Himmel steht, sobald sie untergeht, erhalten wir unsere menschliche Gestalt zurück. Wir leben jedoch nicht mehr in unseres Vaters Königreich. Jenseits der See liegt ein ebenso schönes Land wie dieses, doch der Weg ist weit. Morgen fliegen wir dorthin zurück und können vor Ablauf eines ganzen Jahres nicht zurückkehren. Doch wie sollen wir dich mitnehmen? Wir haben weder Schiff noch Boot.“ „Hast du Mut mitzukommen?“ sprach ihr anderer Bruder „Mein Arm ist stark genug, dich durch den Wald zu tragen, sollten wir da nicht alle so starke Flügel haben, um mit dir übers Meer zu fliegen?“ “Oh ja, nehmt mich mit!“ bettelte Alisa. Die ganze Nacht verbrachten sie damit ein Netz aus geschmeidiger Weidenrinde und zähem Schilf zu flechten. Auf dieses legte Alisa sich und als die Sonne aufging und die Brüder sich in wilde Schwäne verwandelten, ergriffen sie das Netz mit ihren Schnäbeln und flogen mit ihrer lieben Schwester, die noch schlief, hoch zu den Wolken empor. Sie waren weit vom Land entfernt, als Alisa erwachte, sie glaubte noch zu träumen, so sonderbar kam es ihr vor, hoch durch die Luft über das Meer getragen zu werden. Als die Sonne zu sinken begann, schwebten die elf Schwäne zu einer herrlich im Abendrot glänzende Insel hinab. Als Alisas Fuß sanft den weichen erdigen Grund berührte, sah sie in der Ferne zwischen Bergketten und schneegekrönten Felsgipfeln, hoch am Himmelszelt ein herrliches weiß strahlendes Schloss, welches das Licht des aufgehenden Mondes zu reflektieren schien. Ihre Brüder, welches sich wieder in ihre menschliche Gestalt verwandelt hatten sagten ihr, dass dies das Wolkenschloss der Herrin Morgana sei, welches kein menschliches Wesen je betreten dürfe. „Nun wollen wir sehen, was du diese Nacht träumst“, sagte der jüngste Bruder und blickte sie hoffnungsvoll an, als sie sich in einer bemoosten Höhle zum schlafen niederlegten. „Gebe die Göttin, dass ich träume, wie ich euch erretten kann“, sagte Alisa und dacht noch im Traum inniglich an ihren Wunsch. Da kam es ihr vor, als ob sie hoch in die Luft fliege, zum Wolkenschloss der Herrin Morgana, und eine Fee kam ihr entgegen, so glänzend und schön, und doch glich sie ganz der alten Frau, die ihr im Walde Beeren gegeben und ihr von den Schwänen erzählt hatte. „Deine Brüder können erlöst werden“, sagte die Fee, „aber hast du Mut und Ausdauer? Siehst du die Brennnessel, die ich in der Hand halte? Von derselben Art wachsen viele rings um die Höhle, in der du schläfst; nur die und die, welche auf den Hügelgräbern wachsen, sind tauglich. Merke dir das: die musst du pflücken, obgleich sie deine Haut verbrennen werden. Brich die Nesseln und flicht draus elf Hemden. Wirfst du diese über die elf Schwäne, so ist der Zauber gebrochen. Aber bedenke wohl, dass du von dem Augenblick an, wo du diese Arbeit begehst, bis zu ihrer Vollendung nicht sprechen darfst, sonst würde es den Tod deiner Brüder bedeuten. Nicht ein einziges Wort. Merke dir dies gut!“ Als Alisa erwachte war es heller Tag. Sie erblickte eine Nessel, wie jene, die sie im Traum gesehen hatte, da verlies sie die Höhle um ihre Arbeit zu beginnen. Alisa brach die Nesseln mit ihren bloßen Händen und flocht grünen Flachs daraus. Große Blasen brannten sie wie Feuer an Armen und Händen. Als die Sonne unterging und die Brüder heimkehrten erschraken sie, die Schwester so stumm vorzufinden, doch als sie Alisas Hände erblickten, begriffen sie, was sie ihrethalben tat, und sie weinten, und wohin ihre Tränen fielen, da verschwanden die brennenden Blasen. Alisa arbeitet die ganze Nacht lang und den ganzen folgenden Tag. Ein Hemd hatte sie schon fertiggestellt, so fing sie mit dem nächsten an. Da ertönte ein Jagdhorn in den Bergen. Alisa wurde von Furcht ergriffen, sie band ihre Nesseln zusammen und lief in die Höhle um sich zu verstecken. Die Hunde der Jäger jedoch hatten ihre Fährte aufgenommen und schon standen alle Jäger vor der Höhle. Der Schönste unter ihnen war der König des Landes. Er trat auf Alisa zu. „Wie bist du hierher gekommen, du herrliches Kind?“ fragte er. Alisa schüttelt den Kopf, sie durfte ja nicht sprechen. Auch ihre verbrannten Hände versteckte sie unter ihrer Schürze. „Komm mit mir“, sprach er, „hier darfst du nicht bleiben.“ Und dann hob er sie auf sein Pferd. Sie weinte und rang die Hände, doch schon jagte er fort durch die Berge und hielt sie vorn auf dem Pferde. Als die Sonne unterging führte der König sie in sein Schloss, wo man ihr königliche Kleider anlegte und ihr die schwarzen Haare flocht. So schön war sie in all dieser Pracht, dass der König sie zu seiner Braut auserkor, obwohl der Erzbischof mit dem Kopf schüttelte und flüsterte, dass das schöne Waldmädchen sicher eine Hexe sei, welche des Königs Augen blende. Der König führte Alisa in eine kleine Kammer, welche mit grünen Teppichen ausgelegt war, auch ihr Bund Flachs und das fertige Hemd hatte er dorthin bringen lassen. Als Alisa das sah, was ihr so am Herzen lag, spielte ein Lächeln um ihren Mund und das Blut kehrte in ihre Wangen zurück. Sie dachte an die Erlösung ihrer Brüder, küsste des Königs Hand, und er drückte sie an sein Herz und ließ das Hochzeitsfest verkünden. So wurde die schöne stumme Alisa zur Königin des Landes. Der Erzbischof flüsterte böse Worte in des Königs Ohr, aber sie drangen nicht bis an sein Herz, denn wenn Alisa auch traurig war und kein einziges Wort über ihre Lippen kam, so sprach aus ihren Augen doch die innige Liebe zu dem guten König. Sie gewann ihn von Tag zu Tag lieber. Sie wünschte sich nichts sehnlicher als ihm ihr Leid zu klagen. Doch stumm musste sie bleiben. Nachts schlich sie sich davon um in der kleinen Kammer an ihren Hemden zu arbeiten, doch als sie das siebente begann, hatte sie keinen Flachs mehr. Zu den alten Hügelgräbern musste sie um neue Nesseln zu pflücken. So stahl sie sich in einer mondhellen Nacht davon, sammelte die brennenden Nesseln und trug sie heim zum Schloss. Nur ein einziger Mensch hatte sie gesehen, der Erzbischof. Er berichtete dem König was er gesehen hatte und auch das Alisa eine Hexe sei. Der König sprach kein Wort, doch rollten zwei schwere Tränen über seine Wangen herab. Mit Zweifel kehrte er nach Hause zurück und des Nachts stellte er sich schlafend, so konnte er beobachten, wie Alisa Nacht für Nacht aufstand und in ihrer Kammer verschwand. Mit jedem Tag wurde seine Miene finsterer und finsterer. Alisa war nun bald mit ihrer Arbeit fertig, nur ein Hemd fehlte ihr noch, doch hatte sie erneut kein Flachs mehr. Ein letztes Mal musste sie zu den Grabhügeln gehen und Nesseln pflücken. Elisa ging, aber der König und der Erzbischof folgten ihr, als sie sahen, wie sie auf den Grabhügeln herumwanderte, geradeso wie sie glaubten eine Hexe müsse es tun, wendete der König sich ab. „Das Volk soll das Urteil sprechen!“ sagte er und das Volk verurteilte sie zum Tode auf dem Scheiterhaufen. Man warf sie in ein dunkles, feuchtes Loch und lies ihr nur ihre fertigen Hemden und ihren Bund Nesseln. Aber nichts Lieberes hätte man ihr geben können und sie nahm wieder ihre Arbeit auf. Da schwirrte gegen Abend dicht beim Gitter ein Schwanenflügel, das war ihr jüngster Bruder, er hatte die Schwester gefunden und sie schluchzte laut vor Freude, obgleich sie wusste, dass die kommende Nacht ihre letzte sein sollte, doch ihre Arbeit war ja fast beendet und ihre Brüder waren hier. Als man Alisa am Morgen auf einem Karren zum Scheiterhaufen brachte, auf welchem sie als Hexe verbrannt werden sollte, kreisten elf wilde Schwäne um das Schloss. In schmutzige Kleider gehüllt mit wirrem Haar und totenbleichen Wangen, lies Alisa alles über sich ergehen. Ihre Lippen bewegten sich leise, während ihre Finger den grünen Flachs flochten, selbst auf ihrem letzten Weg, unterbrach sie ihre Arbeit nicht. Zehn Hemden lagen fertig zu ihren Füßen. An dem elften arbeitete sie unablässlich. Die Menschen begannen sie zu verhöhnen: „Seht nur die Hexe, wie sie murmelt! Und an ihrer hässlichen Arbeit sitzt sie.“ Da wollten sie ihr die Hemden zerreißen, doch elf weiße Schwäne kamen geflogen, die setzten sich ring um sie auf den Karren und schlugen mit ihren großen Schwingen. Da wichen alle erschrocken zurück. „Dass ist ein Zeichen des Himmels. Sie ist sicher unschuldig!“ flüsterten viele, aber sie getrauten sich nicht es laut zu sagen. Man ergriff sie an der Hand und wollte sie auf den Scheiterhaufen führen, da warf sie hastig die elf Hemden über die Schwäne, und sogleich standen elf schöne Prinzen da, der jüngst aber hatte einen Schwanenflügel, denn es fehlte ein Ärmel an seinem Hemd, den hatte sie nicht mehr fertig gebracht. „Nun darf ich sprechen!“, rief Alisa, „Ich bin unschuldig!“ Als das Volk sah, was geschehen war, neigte es sich vor ihr, aber Alisa sank ohnmächtig in der Brüder Arme, so sehr hatten Angst und Schmerz sie gequält. „Ja, unschuldig ist sie!“ sprach der älteste Bruder, und nun erzählte er alles, was geschehen war, und während er sprach verbreitete sich ein Duft wie von Tausend Rosen, denn jedes Stück Brennholz im Scheiterhaufen hatte Wurzeln geschlagen und trieb Zweige. Da stand eine duftende Hecke, hoch und groß mit roten Rosen, ganz oben saß eine Blume, weiß und glänzend wie ein Stern. Die pflückte der König und steckte sie Alisa ins Haar. Da erwachte sie, atmete tief ein und es wurde ihr plötzlich wieder leicht und froh ums Herz, als sie die Stimme ihres Mannes vernahm, der sie um Verzeihung bat und in seine Arme schloss.

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